Erficken wir uns die Freiheit
Wir leben im 21. Jahrhundert eines sexualisierten Europas, das sich gerne als „aufgeklärt“ und „progressiv“ betitelt. Doch schon nach kurzem Eintauchen in die (hetero-) sexistische Geschichte weiblicher Sexualität, wird klar, wieviel von den historischen Unterdrückungsmechanismen – zwar in veränderter und teilweise abgeschwächter Form – immer noch gesellschaftlich tief verankert ist.
Ich wurde in eine Zeit geboren, in der ich als Frau sagen darf, dass ich gerne Sex habe. So etwas wie Repression der weiblichen* Sexualität, durch von Männern geschaffene Doppelmoral gibt es ja gar nicht mehr. Vor allem nicht in einem so fortschrittlichen Land wie Österreich. Aber warum darf dann mein bester Freund ficken und ich muss Liebe machen? Warum gibt es so wenige Pornos, die mein Geschlecht nicht degradieren? Wieso beschleicht mich manchmal das Gefühl, meine gelebte Sexualität ist der Grund für meine chronische Blasenentzündung – sozusagen Karma, weil ich diesen Monat schon wieder so viel gevögelt habe.
So frei bin ich – sind wir – also doch nicht. Denn eigentlich sollte es bei sexueller Freiheit das Gefühl, dem Gegenüber Zärtlichkeiten jeglicher Art zu schulden, nicht mehr geben. Die Angst zu viel, zu wenig und/oder den falschen Sex zu haben, sollte der Vergangenheit angehören. Diese tief verankerten gesellschaftlichen Zwänge lassen sich auf die jahrhundertelange Angst der Männer vor weiblicher* Lust und männlicher Entmachtung zurückführen. Dies wird allein schon durch die mangelnden Aufzeichnungen weiblicher* Lustauslebung in der Geschichte ersichtlich.
How it all started
Laut einer Theorie beginnt die Differenzierung zwischen männlicher und weiblicher Sexualität bereits in der Frühgeschichte durch die neolithische Revolution (Entstehung erster „Wirtschaftssysteme“ in der Steinzeit). Schon damals sollen Männer durch die weibliche Sexualität eingeschüchtert gewesen sein. Diese Angst ergibt sich aus der Unsicherheit darüber, was bei der weiblichen Befruchtung vor sich geht und die Furcht davor, nicht der Erzeuger der Kinder – wichtiger Arbeitskräfte – zu sein. Somit beginnt die Tabuisierung des weiblichen Verlangens nach sexueller Nähe.
Danach treten bis zum Mittelalter nur vereinzelt Aufzeichnungen über die Frau und ihre Libido zu Tage.
How it all escalated
In einer von Kirchenmännern beherrschten Epoche, in der im Adelsstand junge Mädchen von ihren Eltern an alte Männer verheiratet werden, ist sexuelle Selbstbestimmung für Frauen undenkbar. Die einzige Möglichkeit der Verehelichung zu entkommen, ist der Eintritt ins Kloster und somit die Keuschheit.
Für alle Frauen, die sich gegen die Keuschheit entscheiden ist es weder inner- noch außerehelich wirklich möglich, ihre Sexualität in der Realität auszuleben. Auf Betrug steht die Todesstrafe und zu ehelichem Sex sagt die Kirche, dass nichts „schändlicher sei, als die eigene Frau wie eine Mätresse zu lieben“. Lustvoller Sex ist somit mit höchster Diskretion zu genießen, was ein Mitgrund für die geringe Anzahl an historischen Aufzeichnungen ist. Nichts desto trotz gibt es Quellen aus dieser Zeit, da die Faszination von Gelehrten für die weibliche Libido sehr groß ist. So entsteht auch die Theorie, Frauen könnten nur dann Kinder gebären, wenn sie beim Sex einen Orgasmus haben. Dieser Irrglaube führt zu verschiedenen Ratgebern zur Befriedigung der Frau und hält bis ins 18. Jahrhundert an.
Fast 700 Jahre lang werden junge Mädchen, egal ob sie adeligen, stadtbürgerlichen oder bäuerlichen Standes sind, abhängig von Eigentum und Ansehen des Zukünftigen zwangsverheiratet.
Warum wir heute noch Objekte sind
Wie Frauen während dieser Zeit ihr Schicksal empfinden geht nur vereinzelt aus der Geschichtsschreibung hervor. Im 17. Jahrhundert trifft eine britische Dramatikerin in einem ihrer Stücke den Vergleich zwischen „Bräuten und Huren“. Dieser Vergleich ist durchaus zutreffend, denn in beiden Fällen, sind die Frauen von Männern abhängig und müssen ihnen im Tausch gegen Materielles ihren Körper zur Verfügung stellen.
Zu dieser Zeit ist die Gesellschaftsordnung auf die Familie, als wichtiger Teil der wirtschaftlichen Hierarchie, ausgerichtet. Aus diesem Grund ist es dem Staat ein Anliegen, diese Ordnung aufrecht zu erhalten, weshalb außerehelicher Sex hart bestraft wird – ein Schicksal, das durch die Sichtbarkeit ihres „Vergehens“, vor allem Frauen ereilt. Um junge Mädchen vor solchen „Schandtaten“ zu beschützen, werden Ratgeber herausgegeben, die sie Keuschheit und Schamhaftigkeit lehren sollen.
Revolution: jetzt nur mehr anders scheiße
Als dann Ende des 18. Jahrhunderts ein neues Ideal der Ehe – die freie Wahl der Ehepartner_in – aufkommt, führt das zu einer Revolution der Geschlechter. Die Position der Frau muss neu definiert werden, möglicherweise als gleichgestellt. Doch die Rolle der „gottgewollten weiblichen Unterordnung“ wird von der „natürlichen Unterlegenheit“ der Frau, abgelöst. Im Zusammenhang mit weiblicher Sexualität entstehen mehrere Theorien, die dazu führen, dass Frauen bewusst zur Passivität erzogen werden, um die natürliche Hierarchie nicht zu gefährden. Zu dieser Zeit entsteht auch der heute noch präsente Gedanke, dass für Männer Sex die Befriedigung der Lust darstellt, während Frauen es als „Befriedigung des Herzens“ empfinden. So entwickelt und verbreitet sich das Bild einer lustlosen Frau und wird zum Ideal des 19. Jahrhunderts.
Nicht nur unterlegen, sondern auch krank und kriminell
Im 20. Jahrhundert beginnen sich Ärzte mit dem Lustverhalten der Frau auseinanderzusetzen und geben der absurden Angst von Männern vor der „kannibalischen weiblichen Lust“ wissenschaftlichen Halt. Sie definieren die Normen und Unnatürlichkeiten weiblicher Sexualität, wobei letzteres auf fast jede Frau zuzutreffen scheint. So gilt die Frau als psychisch krank, wenn sie ein überdurchschnittliches/unterdurchschnittliches Sexualverlangen hat – mal abgesehen von der sowieso als schändlich angesehenen Masturbation. Diese geistigen Ergüsse steigern sich ins Absurde und schreiben der Vagina irgendwann eine so starke Beeinflussung des weiblichen Gehirns zu, dass nun sexuelle Abnormität der Grund für Kriminalität und physische Krankheiten von Frauen sei. Laut den Ärzten können Frauen von ihren Psychosen nur durch die Beschneidung der Klitoris befreit werden, was zu einer Massenverstümmelung von geschätzten 100 000 Mädchen und Frauen im europäischen und nordamerikanischen Raum führt.
Sie haben für ihre und unsere Freiheit gekämpft…
Zwar entstehen bereits im 18. und 19. Jahrhundert erste Frauen*bewegungen in Österreich, doch konzentrieren sich diese vor allem auf Bildung, Arbeit und später das Wahlrecht. Erst ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts rücken Themen wie Sexarbeit (damals „Prostitution“) und Abtreibung in den Fokus der feministischen Bewegungen. Obwohl es bereits zu dieser Zeit Forderungen zur Reglementierung der Sexarbeit gibt und auf die ausbeuterischen Bedingungen von Sexarbeit, die diesbezügliche Doppelmoral der Gesellschaft im Bezug auf Untersuchungen von Geschlechtskrankheiten und den ökonomischen Druck auf Frauen* aufmerksam gemacht wird, kommt es erst in den 70er-Jahren zu einem ernsthaften Diskurs über Sexarbeit in der Politik.
Ähnlich verhält es sich beim Thema Abtreibung, deren Entkriminalisierung bereits nach dem 1. Weltkrieg gefordert, aber erst 1975 als Kompromisslösung als Gesetz zur Fristenlösung verabschiedet wird.
So ist es Frauen* in Österreich bereits 15 Jahre zuvor möglich zu verhüten, da die Anti-Baby-Pille eingeführt wird. Eine Entwicklung, die die sexuelle Revolution der Frauen* verspricht. Zwar dürfen sie anfangs nur verheiratete Frauen* mit Kindern zu sich nehmen und die hormonelle Belastung für den weiblichen* Körper ist enorm, trotzdem gilt es nach wie vor als einer der wichtigsten Schritte in Richtung sexuelle Liberation. Genug ist es natürlich nicht und so beginnen Frauen* in den 70er Jahren ihre eigene Sexualität zu erforschen, um sich zum ersten Mal selbst ein Bild zu schaffen und um den tief verankerten Zwang zur Schamhaftigkeit abzulegen. So werden auch erstmals Themen wie Menstruation und Masturbation offen diskutiert.
Eine der wichtigsten Rollen in der Befreiung von sexuellen Zwängen, spielt die Lesbenbewegung (beginnend 1968), da dies eines der am meisten tabuisierten Themen in der Geschichte der Frauen* darstellt. Auch hier steht Österreich in Sachen Gleichstellung noch ein langer Weg bevor, angefangen mit dem Recht auf gleichgeschlechtliche Eheschließung, bis hin zur allgemeinen gesellschaftlichen Akzeptanz.
Ein Problem, dessen Lösung sich die Politik bis 1989 nicht annimmt – obwohl Feministinnen* schon seit Jahren dafür kämpfen, ist die sexualisierte Gewalt. In diesem Jahr wird die innereheliche Vergewaltigung gesetzlich strafbar. Doch obwohl nun inner- wie außereheliche Vergewaltigung strafbar ist, wird laut einer Studie vom Österreichischen Institut Familienforschung (ÖIF), bis heute noch jede dritte Frau* in Österreich Opfer sexualisierter Gewalt. Hinzukommt, dass die Gesetzeslage eine Vergewaltigung nur als solche anerkennt, wenn sich das Opfer* körperlich zur Wehr setzt – ein „Nein“ reicht nicht aus. Aus diesem Grund werden weniger als 2% der Sexualstraftäter überhaupt vor Gericht gebracht und weniger als 1% der Täter erhalten eine unbedingte Freiheitsstrafe.
…jetzt kämpfen wir
Was heißt all das für unser Leben? Was können wir tun, damit wir über die Auslebung unserer Sexualität selbst entscheiden können? Was muss passieren, dass Konsens als gesellschaftlich gültige Grundvoraussetzung für den Austausch von Zärtlichkeiten gilt?
Wir müssen jetzt gemeinsam aufstehen und laut sein!
Das ist unser Leben!
Das ist unser Körper!