Muss man Zivilcourage nicht auch lernen?
Wenn alle wegschauen und niemand mehr hilft, liegt das auch an unserem Bildungssystem.
Vor kurzem hörte ich eine Geschichte, die mich zum Nachdenken brachte:
Eine Freundin von mir beobachtete, wie eine Gruppe von männlichen Jugendlichen in dieselbe U-Bahn wie sie einstieg. Der Blick von einem Gruppenmitglied fiel unterdessen auf ein Mädchen. Er wandte sich von der Gruppe ab und gesellte sich auf den freien Platz neben sie. „Na Süße?“, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen. Das Mädchen wollte währenddessen ihren Platz verlassen, doch der Junge drückte sie sofort wieder in den Sitz zurück und meinte – nach wie vor betont lässig: „Wohin so eilig, Süße?“. Sie bat ihn freundlich darum, sie aussteigen zu lassen. Die Situation machte nun auch andere Passagier_innen auf sich aufmerksam, doch diese taten so als würde sie das nichts angehen. Doch meiner Freundin reichte es. Sie schritt auf den Jungen zu und bat ihn von dem Mädchen abzulassen. „Was mischst du dich jetzt ein?!“, fuhr er sie an und sprang auf. In diesem Moment hielt jedoch die Bahn an, und am Bahnsteig standen zwei Polizisten. Der Burschengruppe, wurde die Situation nun etwas unbehaglich und einer von ihnen meinte, sie sollten jetzt besser gehen. Die Junge, der dem Mädchen nahekommen wollte, rief noch mal: „ Da habt ihr aber Glück gehabt.“
Als die Jungen die Bahn verließen, meinte ein Passagier zu meiner Freundin: „ Was, wenn dieses Pack eine Waffe dabeigehabt hätte? Dann wären wir jetzt alle in Gefahr.“
Hin- statt wegschauen
Das stimmt vielleicht, aber sollte man deshalb wegsehen, anstatt einzugreifen oder, wie in diesem Fall, andere Frauen* ungeschützt zurücklassen?
Eines steht fest, es wird sich nie etwas ändern, wenn man nur stumm sitzen bleibt. Doch viele haben nie gelernt, dass es etwas Selbstverständliches sein sollte Mitmenschen in Gefahrenzonen zu helfen. Vielleicht denken manche, dass sie dann selbst in Gefahr sind. Man könnte lange über die Ursachen des Nichtstuns reden, doch eines ist hierbei klar: Wir sind eine Wegschaugesellschaft; – wir nehmen oftmals durch Einflüsse diverser neuer Medien wie Smartphones oder iPods die Welt um uns nicht mehr wahr. Es ist viel einfacher Kopfhörer aufzusetzen und das reale Geschehen um sich herum abzuschalten, wenn wir ehrlich sind.
Zivilcourage in den Unterricht integrieren!
Da im Schulsystem keine offensive Zivilcourage gelehrt wird, braucht es zivilgesellschaftliche Organisationen wie „ZARA“, welche sich seit 1999 für Zivilcourage und gegen Rassismus einsetzt. Das Engagement basiert auf einem Drei-Säulen-Prinzip: Beratung, Prävention und Sensibilisierung. Workshops, sowie Vorträge, Diversity-Management und Unternehmensarbeit werden von der Organisation angeboten.
Dies ist schon einmal ein großer Schritt in die richtige Richtung, doch Aufklärung über Solidarität und Unterstützung fängt bereits im Kindesalter, also in der Schule an. Wir müssen diese in den Unterricht miteinbeziehen, damit es als natürlich für uns angesehen wird: Wenn jemand in Gefahr ist, dann sollte dieser Person geholfen werden.
Gemeinsam statt einsam!
Wenn man sich in der Schule mit der Sozialpsychologie beschäftigt, dann werden Lehrpersonen oftmals die W-Fragen im Kindesalter hervorheben. Wenn die Kleinen versuchen die Welt kennenzulernen, ist die am häufigsten gestellte Frage „Warum?“. Wenn die Eltern also auf diese eingehen, dann bekommt man schon in seinen frühen Tagen einen weiteren Blickwinkel auf die Gesellschaft.
Die Schule lehrt uns nicht in gewissen Situationen einzugreifen, weil wir dadurch nicht zu den Personen erzogen werden, die in unserer Spießergesellschaft den 0815 Weg gehen.
Wir werde sozusagen zu Marionetten erzogen, die das vom System verlangte, durchführen soll. Deshalb hört man von den Lehrpersonen auch oftmals Aussagen wie: „Das ist eben so festgelegt und jetzt hör auf zu fragen.“ Die Schule hält also nichts von den uns drängenden Fragen wie „warum passiert das?“, „warum geht es manchen Menschen schlechter als anderen?“, etc.
Doch wie sollen wir jemals über den Horizont hinausblicken, wenn das alltägliche System von BIFIE und co. dies gar nicht zulässt?
Wir alle sind unterschiedlich und können nie in allen Lebensbereichen dasselbe Knowhow haben. Aber wir haben alle einen Hausverstand und eine emotionale Intelligenz, die in Situationen der Courage als unsere Instinkte hervortreten sollen.
Wenn ich einschreite, bin ich da nicht auch automatisch in Gefahr?
Davor fürchten sich auch viele, wie auch der Passagier im oben genannten Fall. Deshalb wäre es für uns alle wesentlich zu wissen, wie man eingreifen kann, ohne sich sorgen zu müssen.
Der erste Schritt zur Besserung wäre: Augen und Sinne weg vom Handy!
Damit schätzt man zuerst einmal die Situation ein. Sind viele Leute in der Umgebung? Sind Waffen mit im Spiel? In welchem Zustand sind die Täter_innen?
Als zweiten Schritt sieht man dann schon was zu tun ist: Wenn eine brenzlige und gewalttätige Situation zu erkennen ist, dann kann es oftmals sinnvoller sein, den Notruf zu wählen, als sich einzumischen. Des Weiteren ist es ratsam, andere Passanten_innen auf die Situation aufmerksam zu machen, damit im Ernstfall nicht für eine einzige Person Gefahr besteht.
Was meine Freundin betrifft: sie ist froh, dass sie in dieser Situation eingegriffen hat und somit dem Mädchen helfen konnte. In einem Gespräch im Nachhinein meinte sie:“ Ich habe in diesem Moment nicht nachgedacht, ob eine Gefahr für mich bestand. Mein Gedanke war einfach, dass ich dem Mädchen helfen muss, denn die Augen vor dem Wesentlichen zu verschließen hilft ihr genauso wenig wie mir. Deshalb hoffe ich, dass dies eines Tages alle so sehen und nicht nur denken, was wäre wenn… .“