16. November 2016
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Ein Schulleben mit Psychischen Erkrankungen

Angststörungen, Depression, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Zwänge, ADHS und Leistungsdruck bis hin zum Burn-Out. Viele von uns kennen zumindest eine der oben genannten psychischen Erkrankungen, ob nur vom Hörensagen, aus dem Bekanntenkreis oder aus eigener Erfahrung.

Jede_r fünfte jugendliche Österreicher_in erlebt dies Tagein, Tagaus!

Gerade die Pubertät, mit den einhergehenden hormonellen Veränderungen, ist für viele Jugendliche* mit psychischen Erkrankungen eine schwierigere Zeit als für Gleichaltrige ohne diese.

In diesem Artikel möchte ich näher beleuchten, von welchen psychischen Erkrankungen Schüler_innen betroffen sein können bzw. betroffen sind, sowie welche Unterstützungsmöglichkeiten die Schulen selbst bieten und einen kleinen Einblick in ein vorstellbares Schulleben mit psychischen Erkrankungen ermöglichen.

Psychische Erkrankungen sind von den normalen, schlechten Tagen zu unterscheiden, die jeder Mensch*, insbesondere jede_r Jugendliche* immer wieder erlebt. Diese Erkrankungen sind ein Dauerzustand und unbedingt zum Wohle der Betroffenen* und der Personen* in deren Umkreis zu behandeln. Dennoch erhalten nur wenige Jugendliche* eine oftmals lebensnotwendige Therapie, welche die Lebensqualität wieder stark verbessern könnte, was von gesteigerter Aggression und/oder Ängsten über – in extremsten Fällen – Selbstzerstörung bis hin zu Suizidgefährdung führen kann.

 

Angststörungen

Angststörungen sind neben Depressionen die am weitesten verbreiteten psychischen Erkrankungen in Europa. Generell sind bei einer Angststörung die Betroffenen* über Wochen und länger innerlich unruhig und angespannt und nur schwer in der Lage, den Alltag zu meistern – Beklemmungs- & Erstickungsgefühle, Schweißausbrüche, Schwindel, Zittern, Herzrasen und Mundtrockenheit sind typische Symptome. Unter Angststörungen fallen auch Panikattacken, die plötzlich auftreten können und mehrere Minuten lang andauern. (Gefühlt eine halbe Ewigkeit.) Hinzu kommt das Gefühl, die Umgebung wäre völlig fremd und unwirklich und man selbst weit entfernt und nicht wirklich anwesend. (Derealisation & Depersonalisation) Bei dieser Form der Angst sind die Symptome so stark, dass die Angst daran zu sterben, Angst vor Kontrollverlust und davor verrückt zu werden, keine Seltenheiten sind. Außerdem treten Panikattacken oft in Verbindung mit Hitzewallungen, Kälteschauern, Kribbelgefühlen und/oder Gefühlslosigkeit auf.

 

Depression

Aus medizinischer Sicht ist dann eine Depression gegeben, wenn vier der typischen Symptome über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen anhalten. Unter anderem zählen Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, geringes Selbstbewusstsein, eine extrem pessimistische Lebenssicht, sozialer Rückzug, Angst, Appetit-, Ess- und Schlafstörungen zu den Symptomen. Wenn bei Jugendlichen* Verzweiflung und Traurigkeit als normale Pubertätsphase gesehen und nicht ernst genommen und behandelt werden, kann das von ernsthaften Folgeschäden (Selbstzerstörung u.A.) bis zum Suizid führen.

 

Essstörungen

Unter Essstörungen leiden Personen*, die sich emotional und gedanklich übermäßig mit dem Thema Essen beschäftigen. Es wird zu viel oder zu wenig gegessen und außerordentlich viel Sport betrieben. Die Folgen sind Magersucht, Bulimie und Fettleibigkeit.

Magersucht

Magersucht ist eine psychisch bedingte Essstörung, bei der sich die Betroffenen* selbst als zu dick wahrnehmen und ihren Selbstwert meist hauptsächlich an ihrem Gewicht messen. Ab einem Body-Mass-Index (BMI) kleiner als 17,5 oder bei einem Verlust von 15 Prozent des Körpergewichts innerhalb von kurzer Zeit, spricht man von Magersucht. Niedriger Blutdruck, Herzrhythmusstörungen, Blutarmut, chronische Verstopfung, Magenkrämpfe und Übelkeit können mögliche Auswirkungen sein. Oft leidet man zeitgleich auch unter Zwängen und Depressionen. Im schlimmsten Fall kann die Erkrankung tödlich verlaufen.

Bulimie

Auch an Bulimie Erkrankte* haben große Angst davor, zu dick zu werden oder zu sein, wiegen aber meist mehr als Magersüchtige*. Manche Betroffene* sind sogar übergewichtig. Bei dieser Erkrankung haben die Betroffenen* oft ungezügelten Heißhunger und bringen sich danach wiederholt zum Erbrechen. Es werden auch Abführmittel genutzt. Hauptsache das Gewicht wird trotz des übermäßigen Essens niedrig gehalten.

Fettleibigkeit

Wenn der BMI über 30 liegt, spricht man von Fettleibigkeit. Betroffene* essen regelmäßig mehr als ihr Körper an Energie benötigt, haben meist zu wenig Bewegung und leiden oft an depressiver Verstimmung, besonders nach den Essanfällen. Fast alle übergewichtigen Esssüchtigen* leiden seit ihrer Kindheit an Übergewicht, da Essen beispielsweise zur Beruhigung oder Belohnung eingesetzt wird. Andere Ursachen können Trennungen, Verluste, Kränkungen und Enttäuschungen im privaten oder beruflichen Leben sein. Die Folgen sind unter anderem Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme oder Impotenz.

 

Persönlichkeitsstörungen

Wenn Menschen* zu misstrauisch, hysterisch oder angstvermeidend sind, und dadurch an der Bewältigung des Alltags gehindert werden, spricht man von Persönlichkeitsstörungen. Durch diese tief verwurzelten psychischen Eigenschaften kommt es häufig zu Konflikten mit anderen Menschen* und die Betroffenen* sind äußerst eingeschränkt in ihrem Leben.

Borderline

Zum einen gibt es die emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Die Merkmale sind massive Ängste vor dem Alleinsein, instabile Beziehungen, Identitätsstörungen und schwere Depressionen. Auffällig ist eine ausgeprägte Störung der Körperwahrnehmung. Schmerz spüren viele Betroffene* kaum. Selbstverletzungen wie das Ritzen der Haut mit Rasierklingen oder anderen scharfen Gegenständen, Drogeneinnahme und hoch riskante Aktivitäten sind die extremen Folgen. Bei der Mehrzahl der Betroffenen* zählen schwerwiegender Missbrauch oder emotionale Vernachlässigung zu den Gründen, die zu einer Erkrankung geführt haben.

Dissoziale Persönlichkeitsstörung

Die dissoziale Persönlichkeitsstörung meint Menschen*, die soziale Normen übertreten und wenig Einfühlungsvermögen besitzen. Oft geraten sie in Konflikt mit dem Gesetz, da sie zu Aggressionen und Gewalt neigen und wenig aus ihren Erfahrungen lernen. Ein Schuldbewusstsein fehlt meist völlig. Die Betroffenen* sind zwar dissozial, gehen aber dennoch labile Beziehungen zu anderen Menschen* ein. Diese Art von Störung trug früher den Namen „Psychopathie“, man sprach vom „Psychopathen*“ – der Begriff wird aber heutzutage weitestgehend aufgrund seiner verurteilenden Wirkung vermieden.

Histrionische Persönlichkeitsstörung

Früher war diese Persönlichkeitsstörung bekannt als Hysterie. Heute nicht mehr, da der Begriff der Hysterie ursprünglich in Bezug auf Frauen* verwendet wurde und negativ belastet ist. Theatralisches Verhalten, Oberflächlichkeit, Übertreibungen, labile Stimmungslagen usw. kennzeichnen diese Störungsart. Die Betroffenen* erfinden häufig abenteuerliche Geschichten, um im Mittelpunkt stehen zu können. Außerdem haben sie oft ein schauspielerisches Talent, das es ihnen ermöglicht, sich in viele Situationen hineinzudenken und dementsprechend zu handeln bzw. zu schauspielern.

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Extrem selbstbewusste Haltung nach außen, die verbunden ist mit Großspurigkeit, Selbstüberschätzung und negativer Auffassung von Kritik. Auf der einen Seite fehlt den Betroffenen* zwar die Einsicht in die Probleme und Aktivitäten anderer Menschen*, auf der anderen Seite streben sie aber nach ständiger Anerkennung, Lob und Bewunderung von diesen. Es kann vorkommen, dass die Borderline-Störung mit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung verbunden ist, da die narzisstischen Personen* nach innen oft ein mangelndes Selbstbewusstsein haben, das bis hin zur Ablehnung der eigenen Person* reicht. Die innere und äußere Person* geraten dadurch oft in Konflikt miteinander.

Paranoide Persönlichkeitsstörung

Diese Form von Persönlichkeitsstörung betrifft vor allem die misstrauische Haltung der Erkrankten*. Selbst freundliches oder zurückhaltendes Verhalten anderer Menschen* wird dann als feindliches Zeichen gedeutet. Die Betroffenen* werden oft als schwierige Charaktere bezeichnet, da sie mit Zurückweisungen und Zurechtweisungen große Probleme haben.

 

Zwänge

Wir alle kennen harmlose Formen des Zwanges aus unserem täglichen Leben. Manche von uns erledigen Dinge immer in derselben Reihenfolge; andere hüten sich vor Unglückszahlen oder kontrollieren mehrfach, ob die Haustür verschlossen ist, einige schätzen besonders Ordnung und Sauberkeit und wieder andere durchdenken wichtige Telefonate mehrfach vorher oder nachher.

Hauptmerkmal der Zwangsstörung sind wiederkehrende Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen. Bei Zwangsgedanken handelt es sich um aufdringliche Ideen, Gedanken, Bilder. Bei Zwangshandlungen um als übertrieben empfundene Handlungen, zu denen sich die Betroffenen innerlich gedrängt fühlen. Zumindest zeitweilig ist ihnen die Unsinnigkeit ihres Denkens und Handelns bewusst. Trotzdem gelingt es nicht, sich aus der Gefangenschaft der Zwänge zu befreien. Es kann vorkommen, dass man sich erst nach stundenlangem Ausführen der eigenen Zwänge wieder anderen Dingen zuwenden kann. Bei einem erneuten Kontakt mit den Zwang auslösenden Reizen, wie zum Beispiel Schmutz, beginnt das Ganze wieder von vorn. Nicht selten werden die Zwänge so dominant und quälend, dass sich die Zwangskranken* vollständig zurückziehen. Die Folge sind dann oft ein Verlust des Selbstwertgefühls und Depressionen.

 

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizits & Hyperaktivitätssyndrom)

Ist die schwierige Pubertätszeit erst einmal überwunden, kommt es sehr oft zu einer Besserung der Symptome. Allerdings haben viele noch im Erwachsenenalter Probleme, sich zu konzentrieren bzw. Arbeiten fertig zu stellen. Sie sind meist auch risikobereiter als Erwachsene* ohne ADHS. Ein Umfeld, das die Besonderheiten des Krankheitsbildes kennt und entsprechend berücksichtigt, ist für Menschen* mit ADHS oft die größte Hilfe, egal in welchem Alter. Es scheint eine gewisse erbliche Veranlagung zu geben, wobei auch ein Mangel an Dopamin, auch bekannt als Glückshormon, für ADHS verantwortlich ist. Durch die Unterversorgung mit diesem wichtigen Botenstoff, werden Reize nur unzureichend gefiltert, wodurch das Aufkommen neuer Gedanken und Verhaltensimpulse nicht vermindert wird. Das führt dazu, dass begonnene Gedankengänge nicht zu Ende gedacht werden können. Letztlich unterliegen Menschen* mit ADHS wegen der Funktionsstörungen in ihrem Gehirn einer permanenten Reizüberflutung. Deshalb sind sie nur eingeschränkt in der Lage, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu fokussieren und können wichtige Wahrnehmungen kaum von unwichtigen unterscheiden.

 

Leistungsdruck bis hin zum Burn-Out

Erst seit relativ kurzer Zeit wird das Burn-Out als eigenständige Krankheit anerkannt. Was es Menschen* in diesem Zustand bis dahin nicht gerade erleichtert hat, die richtige Behandlung zu bekommen. Wie der Name schon sagt, bedeutet Burn-Out, ausgebrannt zu sein. Die Betroffenen* können einfach keine Leistung mehr bringen, sind körperlich und emotional vollkommen erschöpft und leiden daher unter intensiven psychischen Problemen. Stimmungsschwankungen, Depression, Süchte, Konzentrationsschwächen und Schlafstörungen treten hierbei genauso wie Rückenschmerzen, Ohrgeräusche und Verdauungsprobleme auf. Burn-Out entsteht durch eine permanente Stresssituation, die über Monate und Jahre anhält – besonders wenn die betroffene Person weder in der schulischen noch in der privaten Zeit die Möglichkeit hat, Körper und Geist auszuruhen und somit wieder zu Kräften zu kommen.

Zeit- und Leistungsdruck, Überforderung, Vernachlässigung eigener Bedürfnisse und Mobbing, manchmal auch gemeinsam mit chronischen, körperlichen Schmerzen bzw. Krankheiten, sind Schlagwörter, die essenziel für die Entwicklung eines Burn-Outs sind.

Je nachdem, wann die Erkrankung erkannt und Gegenmaßnahmen in die Wege geleitet werden, kann die vollkommene Genesung mehrere Wochen andauern – oder zu einem jahrelangen, schwierigen Prozess werden.

 

Unterstützungsmöglichkeiten in der und um die Schule

Schulpsychologie (SP), Schulärzt_innen (SÄ), Schulsozialarbeit (SSA), Jugendcoaching (JU), Schüler_innen- & Bildungsberatung (SBB), Beratungs-/Betreuungslehrer_innen und Psychagog_innen (BBL).

Die Ausbildungen zu oben genannten Berufen erfolgen völlig grundverschieden und voneinander getrennt, daher fehlt auch das notwendige Wissen über die jeweils anderen Systeme, was für eine Zusammenarbeit unentbehrlich ist. Ebenfalls erfolgt keine ausreichende Dokumentation der Arbeit. Nur Jugendcoaching und Schulpsychologie bieten einen bundesweiten, öffentlich zugänglichen Jahresbericht. In Berufsschulen stehen meist nur Schulpsycholog_innen zur Verfügung. Laut Ärzt_innenkammer gab es 2013 nur 31 Ärzt_innen mit Spezialisierung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

 

Einblicke in einen Schulalltag mit psychischen und körperlichen Erkrankungen

Stell dir vor, du wachst in der Früh auf und das Erste was du spürst, ist ein ungutes Gefühl in der Magengrube, da ein weiterer Schultag ansteht. Obwohl du extra darauf geachtet hast, nur wenig zu essen, setzen die bereits bekannten Schmerzen und das Völlegefühl ein. Schreiend und die Welt hassend schlägst du auf deinen Bauch ein, zerkratzt deinen ganzen verdammten Körper, der sich einfach viel zu beengend anfühlt, du möchtest das ganze scheiß Essen am liebsten sofort wieder loswerden, aber du kannst einfach nicht kotzen und leidest außerdem an Verstopfungen.

Auf dem Schulweg fühlst du dich verfolgt, obwohl nach mehrmaligem Versichern keine Menschenseele hinter dir ist. Vor der Klassentür würdest du liebend gerne wieder umdrehen, die ganzen Gesichter, die dich ansehen, wenn du wieder mal zu spät kommst, der Test, den du verpasst hast, das Ganze verursacht einen Kloß in deinem Hals, Schweißausbrüche und Schüttelfrost. An besonders schlimmen Tagen drehst du auch wieder um.

Dann sind da noch gewisse Personen* in der Klasse, mit denen du es dir anscheinend verscherzt hast. Von einen Tag auf den anderen hatten sie es auf dich abgesehen, keine Ahnung was du falsch gemacht hast, du warst ohnehin bisher immer ein_r der Außenseiter_innen. Kein Wunder also, dass es weder jemand bemerkte, noch jemanden interessierte, wie dir dein Schulalltag, zusätzlich zu deinem restlichen Leben, zur Hölle gemacht wird.

In bestimmten Momenten, wenn dir sogar deine Angst vor Schmerz gleichgültig wird, ist die Liebe zu deinen Hobbies das Einzige, was dich vom Selbstmord abhält. Bereits jetzt sind die Zeiten, in denen du keinen Zugang zu deinen Suchtmitteln hast (sind das nun Bücher, Filme, Videospiele, Alkohol oder Drogen), bereits unerträglich und treiben dich in den altbekannten Wahnsinn. Ein stetiger Weg ins Burn-Out.

http://bit.ly/2fVAto3 Foto: http://bit.ly/2fVAto3