21. Februar 2024
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Von „Ausländerdeutsch“ zum urbanen Slang, von fettigen Haaren zur „Clean Girl Ästhetik“.

Über kulturelle Aneignung wird in Österreich nicht gerne gesprochen. Besonders in Jugendkreisen. Wofür sich Jugendliche vor einigen Jahren noch schämten, ist nun trendy. Secondhandshops können sich nur mehr wenige leisten, Bruchteile mehrerer Fremdsprachen sind jetzt Jugendwörter. Ist es erst cool, wenn es Österreicher_innen machen?

In den letzten Jahren kann mensch eine Veränderung in unserer Sprache und Mode beobachten. Woran liegt das eigentlich? Y2K Comeback? Corona?

Das sind alles riesige Faktoren, die die Gesellschaft in den Wandel bringt. Was eine Gesellschaft aber mehr bewegt, ist, wenn eine neue homogene Masse an Leuten in deine Blase “eintreten”. Immigrant_innen sind schon seit ein paar Jahrzehnten da und ihre Spuren sind zu sehen.

Vom Gebrauch von türkischen Wörtern in grammatikalisch falschen Sätzen bis zum Missbrauch von Islamischen Wörtern. Die österreichische Jugend zieht sich außerdem gern den “Ghetto (Life)style” an. Vom Nike Trainingsanzug bis zu den stark gegelten Haaren mit Hoop Ohrringen.

Aber warum machen sie das? Warum verherrlichen sie etwas, was sie bis jetzt als “unsozial” und “Ghetto” bezeichneten?

Ich habe einen Monat lang in einer WG für Jugendliche gearbeitet. Alle weiß und ohne Migrationshintergrund. Was ich gleich bemerkt habe, ist, dass sie kein “richtiges” Deutsch können. Die Jugendlichen werden von weißen Österreicher_innen betreut, die alle Hochdeutsch reden. Grammatikalisch richtige Sätze, die Sinn ergeben. Warum können die Jugendlichen das dann nicht?

Sie verlernen “richtiges” Deutsch, benutzen türkische Wörter und wissen nicht mal, was diese bedeuten. Das klassische “Yallah! Mach hinne.” und “Mashallah!” wird dort mit Stolz und Freude benutzt.

“Weißt du überhaupt was das bedeutet?“

“Ne, ist aber mega geil.”

Deshalb frage ich mich, warum wird etwas verherrlicht, worüber ich mich, als ich zwölf war, schämen musste? Billige Jogginganzüge vom Second-Hand-Geschäft und “Ausländerakzent”.

Ich wohne schon mein ganzes Leben lang in einem “Ghetto”, oder, wie ich es verschönert sage, in einem “sozialen Brennpunkt”. Vier Mal die Woche kommt die Polizei. Drogenhandel. Keine Österreicher_innen weit und breit.

Natürlich klingt unser Deutsch dann ganz anders als das in einem Kaff mit lauter Österreicher_innen. Unser Deutsch ist gemischt mit Türkisch, Albanisch, Arabisch, Rumänisch und vielem mehr. Wir haben uns alle gegenseitig verstanden und die Sprachen der anderen gelernt. Da die meisten hier türkischer Abstammung waren, haben wir zum Großteil “Türk-Deutsch” gesprochen. Als Jugendliche gab uns das allen ein Gemeinschaftsgefühl, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Komfort. Dieses Gefühl hat aber immer gleich aufgehört, sobald wir in der Schule waren. Der Ausländer-Stempel wurde uns ganz klar und deutlich aufgedrückt. Wir waren ja die Ausländer_innen und sie die Österreicher_innen. In der Pause sprachen wir entweder auf unserer Muttersprache miteinander oder auf “Türk-Deutsch”, unseren Klassenkamerad_innen gefiel das nicht. Uns wurde ein Fremdsprachenverbot erteilt. Warum wurde uns das erteilt? Weil sie sich ausgeschlossen fühlten, als würden wir über sie lästern und tun, als wären wir besser, als sie.

Worauf will ich damit aber hinaus?

Wir waren schon immer die Außenseiter. Die Komischen, mit denen niemensch etwas zu tun haben wollte.

Oder ist es, weil unsere Kulturen gleich von Anfang an vertrieben wurden?

Jetzt bin ich 18, halte mich noch kaum in meiner Stadt auf und kann besseres Deutsch. Leute glauben mir teilweise nicht, wenn ich Ihnen sage: “Ich bin rumänischer Roma.”

“Ne Mann, so siehst du gar nicht aus.”

Etwas, was mal ein Teil von mir war und es immer noch ist, wird jetzt als Jugendsprache angesehen und gilt als “stylish”. Dass sich meine Freunde drei Mal im Jahr mit Mama in ein Second-Hand-Geschäft reinwagten und dort Kleidung kauften, die zu jedem Anlass geht.Trainingsanzüge, die wenig kosten und oft getragen werden können, möglichst wenig Kleidung kaufen, um Geld zu sparen. Früher verlacht, nun wird es zum Trend.

Muslimische Begriffe, die bei einer riesigen Gruppe von Menschen als heilig und wichtig gelten, sind jetzt einfach nur ein Jugendwort. Mein “Ausländerdeutsch”, das jetzt als urbaner Slang bezeichnet wird, ist im Trend. Das schwarze Mädchen von nebenan, das immer mit Kokosöl in den Haaren zur Schule kam, wurde gemobbt und als dreckig beschimpft. “Sie soll mal duschen gehen.“

Jetzt ist es der absolute Hit sich die Haare zurückzugelen, um dem “Clean Girl Ästhetik” zu entsprechen.

Muss eine weiße Person etwas machen, damit es geliebt und gehyped wird?

Muss eine weiße Person alles nehmen, was wir schon lange machen, damit es Mainstream wird?

Muss eine weiße Person sich unsere Kultur aneignen, damit sie wertgeschätzt wird?

Aber warum rede ich überhaupt über genau dieses Thema? Kulturelle Aneignung ist Kultureller Diebstahl. Kulturelle Aneignung ist problematisch, weil Mitglieder einer privilegierten Gesellschaftsgruppe daraus Profit schlagen oder Sitten, Bräuche und Traditionen anderer Kulturen lächerlich machen. Damit kann auch schon gemeint sein, dass heilige Symbole einer Kultur mit neuer Bedeutung im Mainstream erhalten werden: zum Beispiel, wenn man sich für das nächste Festl einen Punkt zwischen die Augenbrauen malt und dabei komplett ignoriert, dass ein Bindi auf der Stirn in Südasien eine besondere spirituelle Bedeutung hat. Entscheidend ist vor allem, dass mit diesem Handeln die Gefühle anderer Menschen verletzt werden, weil die Bedeutung ihrer Kultur gegen ihren Willen entfremdet wird.

Während dominante Gesellschaftsgruppen Make-Up, Kleidung, Kostüme und Schmuck oft als Statussymbol sehen und sie jederzeit wieder ablegen können, erleben marginalisierte Gruppen aufgrund ihres Aussehens und ihrer kulturellen Traditionen und Bräuche strukturellen Rassismus. Das heißt: Die dunkle Schminke im Gesicht einer weißen Sängerin, kann Menschen mit dunkler Hautfarbe an Erfahrungen schlimmer Ausgrenzung erinnern und diese Diskriminierung sogar unbewusst verfestigen.

https://ktempestbradford.com/a-place-for-commentary-on-cultural-appropriation/ Foto: https://ktempestbradford.com/a-place-for-commentary-on-cultural-appropriation/