7. November 2020
Geschrieben von

Trumps verrückte Welt

Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten - für rechtes Gedankengut. Anlässlich der Wahlen in den USA lohnt es sich einmal über den Teich zu blicken und die Ursachen des so unglaublich rechten Diskurses verstehen zu versuchen.

Abschiebungen von undokumentierten Einwanderer_innen, mehr Kriegseinsätze im Ausland, keine staatlichen Versicherungen. Das sind nicht etwa Forderungen rechter Parteien, sondern Ausschnitte eines Wahlprogrammes, für das Hillary R. Clinton 2016 als Sozialistin bezeichnet wurde – eine pure Beleidigung für jede Person, die sich mit tatsächlich linken Thematiken beschäftigt. Das zeigt ein weiteres mal: Die Stimmung in der Gesellschaft der USA hört sich nicht nur verrückt an, sie ist auch verrückt – und zwar weit nach rechts.

Somit gibt es nichts zu staunen, wenn man sich ansieht, was dieser Wahl nur entspringen kann. Immerhin sind auch die Auswahlmöglichkeiten für die Präsident_innenschaft recht überschaubar: Ein rechter, reicher, alter, weißer, sexistischer Mann gegen einen verhältnismäßig nicht ganz so rechten, reichen, alten, weißen, sexistischen Mann. Dass das im so diversen Amerika heute noch möglich ist, ist die Folge einer Entwicklung innerhalb der Republikanischen Partei in den letzten 60 Jahren.

 

Ein historischer Abriss

Während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem Nord- Süd-Spannungen die politischen Unterschiede in Amerika ausmachten, wurde diese Spannung in den 1960er-Jahren parteipolitisiert. Die politische Welt wurde zu nahezu 100% von weißen Männern* beansprucht und unter diesen machte sich ein Nord-Süd-Unterschied breit: Mitglieder aus den Nordstaaten beider Parteien tendierten dazu, die Bürger_innenrechtsbewegung unter Martin Luther King mit der Hauptforderung, die ethnische Trennung im Süden zu beenden, zu unterstützen, Südstaatler_innen aus beiden Lagern sind dagegen. Es ist eher als Zufall zu betrachten, dass mit Lyndon B. Johnson ein Demokrat Präsident war, der 1964 den „Civil rights act“ zu Gesetz machte. Dies war ein Schlüsselereignis, das die republikanische Seite dazu gebracht hat, nicht nur auf einer wirtschaftlichen Achse nach rechts zu rücken, sondern auch auf einer sozialen – und zwar ausgiebig.

 

Der Rechts(d)ruck

Seit 1960 ist in Amerika zu beobachten, dass sowohl die Demokrat_innen, als auch die Republikaner_innen jeweils nach links, beziehungsweise nach rechts rücken. Auf der beigefügten Abbildung fällt hier schon beim ersten Hinsehen auf: Die republikanische Partei rückte schneller und stärker nach rechts als die demokratische nach links.

G. Elliot Morris

G. Elliot Morris

Das zeigt sich nicht nur statistisch, sondern auch in der Tagespolitik. Sei es ein Kongressabgeordneter, der in seinem Urlaub die Residenz Hitlers am Obersalzberg besucht, der Senator, der vom Staat bezahlte Gesundheitsversicherung als Sozialismus abstempelt, oder der Präsident selber, gegen den es über 20 Anschuldigungen zu sexualisierten Übergriffen gibt. Republikaner_innen verschieben mit stetigen kleinen Angriffen gegen den gesunden Menschenverstand das öffentliche Stimmungsbild nach rechts. Somit ist über die Jahre ein Druck entstanden, zu allermindest keine Maximalforderungen zu stellen, um noch im Rahmen des politisch Denkbaren zu bleiben.

 

Das Pseudoargument der Wählbarkeit

Nominieren wir Hillary Clinton! Sie kann Wähler_innen der Mitte gut abholen!

Nominieren wir John Kerry! Er kann Wähler_innen der Mitte gut abholen!

Nominieren wir Al Gore! Er kann Wähler_innen der Mitte gut abholen!

Fällt da etwa ein Muster auf? Alle drei waren innerhalb der letzten 20 Jahre einmal Kandidat_innen zur Präsident_innenschaft von der demokratischen Partei. Im Gegensatz zu den österreichischen Parteien, wo meist Parteigremien die Listen festlegen, ist es in Amerika so, dass sämtliche Parteimitglieder in den „Primaries“ die Spitzenplätze wählen dürfen. In den Debatten fällt dort besonders bei den Demokrat_innen oft das Stichwort „electability“ (Wählbarkeit). Unter Wählbarkeit stellen sich die meisten zuerst die Frage, wer politisch gesehen am weitesten in der politischen Mitte ist. Etwa 2016 stellte sich diese Argumentationsweise als falsch heraus, immerhin stand Clintons Kontrahent, der linksgesinnte Bernie Sanders, in den Umfragen immer besser da als sie. Das hielt die Parteibasis 2020 allerdings nicht davon ab, den ebenso moderaten Biden zu nominieren.

 

Linke Politiker_innen? Es gibt sie doch!

In den letzten Jahren regt sich Widerstand gegen das neoliberale Gesülze von Clinton, Obama und co.  2018 und 2020 wurden einige wahre Linke in den Kongress gewählt.

Foto: Jim Lo Scalzo/EPA

Foto: Jim Lo Scalzo/EPA

So konnte etwa Alexandria Ocasio-Cortez und ihre linke Gruppierung „the Squad“ mit der Forderung nach einem Green New Deal Akzente setzen. 2020 wurde diese Gruppe durch Cori Bush erweitert und mit Ritchie Torres wird erstmals eine Person im Kongress sein, die weder weiß noch hetero ist. Sarah McBride, die sich als transgender identifiziert, ist außerdem seit neuestem im State-Senate in Delaware.

Wir sehen: Steter tropfen höhlt den Stein, doch es wird wohl noch eine Weile dauern, bis es nicht mehr als kommunistisch angesehen wird, ein Gesundheitssystem wie in Österreich zu fordern.

Jeff Siner Foto: Jeff Siner