5. April 2020
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Mein Weg zur (Durchschnitts-)Matura

Wir sitzen zuhause, die Straßen sind leer und die Welt steht still. Obwohl, still steht sie ja nicht, denn tausende Pflegekräfte, Betreuer_innen, Verkäufer_innen und medizinische Fachkräfte arbeiten tagtäglich, um für uns eine halbwegs angenehme Quarantänezeit garantieren zu können. Doch was machen eigentlich Maturant_innen in dieser Zeit?

Ich kann’s beantworten. Als Maturantin bin ich jeden Tag damit beschäftigt, mir als erstes einen Überblick über die ganzen Emails zu verschaffen, die von und auf unterschiedliche Adressen zu mir gelangen. Diese Mails enthalten Arbeitsaufträge oder Hinweise darauf, wo ich die Arbeitsaufträge finden kann. Da jede Lehrperson eine andere Art hat Aufträge aufzugeben, finden sich auch die Deadlines dafür immer irgendwo anders. Nachdem also dieses ganze Chaos halbwegs geordnet ist, soll es mit der Bearbeitung losgehen. Währenddessen wird in der Klassengruppe eine Frage nach der anderen gestellt, Fotos von weiteren Aufgaben geschickt, die ich in dem Fall noch gar nicht bekommen habe und über Mathebeispiele diskutiert, mit welchen ich mich noch gar nicht befasst habe. Wer kommt da noch mit?

Manche tun sich damit leicht, doch andere geraten allein dadurch schon in eine Stresssituation. Ich bekomme das Gefühl, dauernd online sein zu müssen, da ich keine Information in den hunderten von Whatsapp-Nachrichten verpassen will. Jede könnte wichtig oder relevant für die Matura sein.

Ich versuche es mit Mathe. Normalerweise erklärt mir meine Sitznachbarin immer die Aufgaben, doch treffen darf ich sie nicht. Der Skypecall hängt und ich kann ihr auch nicht die Aufgabe zeigen, sondern nur beschreiben. Im Internet suche ich nach Tipps, doch hier wird alles anders erklärt, als wie wir es im Unterricht gelernt haben. Nachhilfe gibt es im Moment auch keine und meine Eltern können mir bei den Aufgaben ebenfalls nicht helfen. So schnell lässt sich dieses Problem also nicht lösen.

 

Was nun?

So kann es doch nicht nur mir gehen. Irgendwie habe ich es bis jetzt noch so halbwegs geschafft, meine Aufgaben zu erledigen. Ich habe einen Laptop, bin technisch begabt und kann vieles gleichzeitig erledigen. Doch was ist mit meinen Mitschüler_innen, die sich ihren Laptop mit ihren Geschwistern teilen müssen, nur begrenzt Internet zu Verfügung haben oder nie zu Ruhe kommen, weil ein Familienmitglied an Covid-19 erkrankt ist oder durch die Coronakrise in einer Existenzkrise schwimmt? Was ist mit meinen Mitschüler_innen, die davor schon Schwierigkeiten hatten, allein zu lernen und sich den Stoff selbst anzueignen?

Diese Fragen habe ich mir gestellt, nachdem ich vom lokalen Radio befragt wurde, wie die Maturavorbereitung in Coronazeiten laufe. Nach vielen Gesprächen und Recherche im Internet, bin ich auf eine Petition in Deutschland gestoßen, die das Abitur ohne Abschlussprüfungen fordert. Dies wird gründlich erklärt und sogar von Expert_innen für eine gute Alternative empfunden. weiteren Artikel und Gespräche haben mich dann dazu verleitet, eine Petition zur Matura ohne Prüfung zu starten.

 

Die Petition

Zuerst schicke ich nur einen Entwurf an meine Freund_innen und frage spaßeshalber, wie sie die Idee finden. Ihnen gefällt sie und kurzerhand habe ich mich dazu entschlossen, die Petition zu veröffentlichen. Ich schick sie in meine Klassengruppe und in die meiner Parallelklasse. Schon zwanzig Minuten später bekomme ich eine Nachricht von einem Schüler* einer HTL. Verwundert wie schnell sich diese Petition verbreitet hat, beantworte ich noch ein bisschen zögernd die Fragen. Mit stolzen 80 Unterschriften geh ich ins Bett und schlaf ein.

Am nächsten Morgen führe ich die Petition nicht mehr allein, sondern bekomme Unterstützung von der Aktion kritischer Schüler_innen (AKS). Es wird fleißig überall gepostet und sogar die Radioreporterin meldet sich, damit ich über meine Petition berichte. Unter diversen Accounts hinterlasse ich Kommentare mit der Petition und fange Diskussionen an. In kürzester Zeit steigt die Anzahl der Unterschriften auf 500. Ganz überrascht und schon ein wenig überfordert aktualisiere ich die Website der Petition, um dann festzustellen, dass die Unterschriftenanzahl schon auf 600, fast 700 gestiegen ist.

 

Der nächste Morgen

Am Morgen klingelt auf einmal klingelt das Telefon und ein Fernsehteam (ORF Vorarlberg) ruft an. Sie wollen eine Story über mich und meine Petition drehen. Aufgeregt bereite ich mich also vor und rede nochmal mit meinen Freund_innen. Aufgrund der aktuellen Situation halten zwar alle großen Abstand, dennoch verläuft das Interview sehr gut. Mir werden Fragen gestellt, welche ich schon sicher beantworten kann.

Im weiteren Verlauf des Tages wird die Petition zwar immer noch unterschrieben, doch die Anzahl steigt nicht mehr so rasant, wie zu Beginn. Mittlerweile zählt sie über 8400 Unterstüzer_innen und hat bereits 46% des Ziels erreicht.

 

Das Ziel

Eine zentrale Matura zu schreiben, erscheint uns nicht nur aus gesundheitlichen Gründen kaum machbar. Alle Schulen sind technisch anders ausgelegt und dementsprechend funktioniert auch überall die Maturavorbereitung besser oder schlechter. Manche Schulen haben schon den ganzen Stoff durch, während andere noch in der Ungewissheit leben, ob sie diesen überhaupt noch lernen können. Eine Durchschnittsmatura soll Abhilfe schaffen. Mithilfe der bereits erbrachten Leistungen, sprich den Zeugnisnoten der letzten Semester, soll das Maturazeugnis erstellt werden. Hier kommt nun oft das Argument, dass die Matura geschenkt sei und wir später im Berufsleben Nachteile haben werden, doch das stell ich mir anders vor.

Ein Maturazeugnis bleibt ein Maturazeugnis und verliert nicht an Wert. Zusätzlich wird bei der der Prüfung ja nichts neues gelernt, sondern bereits Gelerntes abgeprüft. Ein_e Absolvent_in ist also nicht „dümmer“ oder „weniger reif“ mit einer Durchschnittsmatura. Lernen tun jetzt sowieso alle je nach ihren Möglichkeiten, weshalb es sich auch nicht vorwerfen lässt, faul zu sein.

Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie sich das Bildungsministerium entscheidet. Unzählige Umfragen und Petition beweisen, was Schüler_innen wollen und Bildungswissenschaftler_innen sowie Direktor_innen stimmen der Forderung zu, also an was hält sich das Ministerium noch fest?

Mittlerweile können wir nur noch hoffen, überhaupt eine Information zur Matura zu bekommen.