23. Januar 2020
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Von Ibiza bis Türkis-Grün – eine Analyse

Am 17. Mai 2019 wurde Österreich von einem politischen Erdbeben erschüttert, ausgelöst durch das wohl berühmteste Video der neueren österreichischen Geschichte. Die Auswirkungen sind bekannt: eine Neuwahl am 27. September, aus welcher die ÖVP mit Sebastian Kurz, sowie die Grünen mit Werner Kogler als die großen Sieger hervorgingen.

Sondierungsgespräche – Wer will mit Kurz?

Direkt nach der Wahl führte Sebastian Kurz, von Bundespräsident Van der Bellen mit der Regierungsbildung beauftragt, Sondierungsgespräche mit allen Parteien, aus denen sich erst die SPÖ und eine Woche später auch die NEOS rasch zurückzogen und „exklusive“ Regierungsverhandlungen forderten. Türkise und Grüne Vertreter_innen traten daraufhin in intensive Gespräche. Die FPÖ stand, nach herben Verlusten bei der Wahl, vorerst nicht für Gespräche zur Verfügung, hielt sich jedoch die Möglichkeit offen, bei einem Scheitern der Gesprächen zwischen der Volkspartei und den Grünen, als Partner zur Verfügung zu stehen. Das geschah während der Sondierungen jedoch nicht und so wurden Regierungsverhandlungen aufgenommen.

Es war anzunehmen, dass die Teams um Kurz und Kogler keinesfalls leicht und schnell zu einem für beide Seiten zufriedenstellenden Ergebnis kommen würden, sind doch die Schnittmengen der beiden Parteien – vor allem in Migrations- und Sozialfragen – allenfalls gering. Überraschend war außerdem, dass die Grünen überhaupt mit der türkisen Delegation in Verhandlung getreten sind, da Kogler noch Ende August gegenüber dem ORF klargestellt hat, dass die Chancen für eine künftige Koalition mit der ÖVP „verschwindend gering“ seien.

 

Message Control – oder doch nicht so ganz?

Die bisherigen Verhandlungen waren vor allem von Schweigen und Geheimhaltung geprägt, wobei doch immer wieder Informationen nach außen getragen wurden und vor allem zuletzt vonseiten der ÖVP Druck auf einen schnellen Abschluss gemacht wurde. Von Vertreter_innen der Grünen wurde jedoch immer wieder betont, dass es keinen zeitlichen Druck gebe und dass so lange verhandelt würde, bis ein Koalitionspapier herauskomme, welches man dem grünen Bundeskongress vorlegen könne (welcher über eine Regierungsbeteiligung abstimmt).

Eine Interessante Wendung in den Verhandlungen könnten die vom Verfassungsgerichtshof gekippten Regelungen der Mindestsicherung und des sogenannten „Sicherheitspaketes“ gebracht haben, die noch aus der Regierungszeit von ÖVP und FPÖ stammen. Vor allem das grüne Team könnte davon profitiert haben.

Am 27.12.19 wendeten sich die beiden Parteien nach 3 Tagen Verhandlungspause an die Öffentlichkeit und verkündeten, dass die Gespräche nun in die entscheidende Phase gingen, allerdings auch, dass es noch immer ein – wenn auch kleines – Restrisiko gebe, dass die Verhandlungen scheitern würden. Nachfragen über etwaige Ressortverteilungen wurden vom Grünen-Chef Kogler damit beantwortet, dass diese erst gegen Ende der Gespräche Thema seien.

 

Doch was ist nun eigentlich von einer Türkis-Grünen Regierung zu erwarten?

In einem etwaigen Koalitionspapier würden sowohl ÖVP, als auch Grüne ihre Kernthemen und -forderungen vertreten haben wollen. Diese sind bei der ÖVP hauptsächlich eine Fortführung der rigiden Migrations- und Integrationspolitik, die steuerliche Entlastung von Unternehmen unter dem Deckmantel der Stärkung des Standorts Österreich und ein ausgeglichenes Budget ohne neue Schulden. Bei den Grünen hingegen steht vor allem ein großes Thema auf der Agenda: Klimaschutz. Doch vor allem in Sachen Migration, Integration und Transparenz vertreten die Grünen eine großteils andere Linie.

Anzunehmen war, dass – aufgrund des Stimmenverhältnisses bei der Wahl – die ÖVP natürlich den größeren Anteil ihrer Forderungen durchsetzen wird können und auch bei der Verteilung der Ministerien die Mehrheit der Minister_innen stellen wird. Weiters war davon auszugehen, dass die Grünen sich sehr auf ihr Kernthema des Klimaschutzes konzentrieren werden und dieses vor allem in der Form einer sogenannten „ökosozialen“ Steuerreform durchsetzen wollen. Jedoch hat Sebastian Kurz bereits betont, dass es unter ihm keine Vermögenssteuern geben wird. Damit stellt sich nun natürlich die Frage wie eine solche Steuerreform gegenfinanziert werden kann.

 

Machtverhältnisse der neuen Regierung

Über die Ressortverteilung gab es bereits sehr früh viele Spekulationen. Genannt wurden dort Gernot Blümel als Finanzminister, Karl Nehammer als Innenminister und Leonore Gwessler als Sozialministerin oder Umweltministerin. Nun haben sich diese Gerüchte auch zum Teil als wahr herausgestellt, denn spätestens nach der Angelobung der neuen Regierung am 07. Jänner ist die Ressortverteilung klar: die ÖVP bekommt 9 und die Grünen bekommen 4 Ministerien. Kritisch zu betrachten ist dabei vor allem, dass die drei größten Ministerien (Innen-, Außen- und Finanzministerium) alle bei der ÖVP angesiedelt sind. Die Grünen bekommen hingegen ein Umweltministerium mit Kompetenzen auch im Bereich der Infrastruktur, Mobilität und Energie, allerdings ohne die Landwirtschaft. Kritisiert wurde von vielen Seiten weiters, dass die Frauen*agenden zukünftig im Integrationsministerium angesiedelt sind.

 

Eine ausführliche und verständliche Analyse des Regierungsprogramms hat der Think Tank „Momentum Institut“ publiziert in welchem wie folgt zusammengefasst wurde:

„Sinkende Steuern vor allem für UnternehmenInnen und AnlegerInnen und niedrigere Tarife bei der Einkommensteuer, eine Fortsetzung des rechten Asylkurses von Türkis-Blau und viele ausgesparte Felder, die die Regierung offenbar nicht mehr angreifen möchte: etwa die Mindestsicherung. Verteilungspolitisch bringt Türkis-Grün wenig bis nichts: die Steuersenkungen kosten Milliarden, Vermögensteuer und Erbschaftssteuer kommen nicht. Fortschritten im Energie- und Heizungskapitel steht ein Verkehrskapitel gegenüber, das vor allem vage bleibt. Zwei Milliarden Euro mehr für die Öffis sind dabei eine gute Idee. Das im Regierungsprogramm aber für die CO2-Steuer (oder ein nationales Emissionshandelssystem) nicht einmal ein Volumen oder ein ungefährer Bereich angegeben wurde, ist absurd.“ Momentum Institut, (2020).

Es bleibt nun also abzuwarten, wie sich die politische Lage in Österreich weiterentwickelt. Wie schon Angela Merkel es über die letzte Regierung gesagt hat, sollten wir nun diese „an ihren Taten messen“.

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