Hat die Mehrheit immer recht?
Und bedeutet Demokratie, die Diktatur der Mehrheit?
„Mehr direkte Demokratie!“, eine Forderung, die wir im letzten Nationalratswahlkampf sehr oft von der FPÖ gehört haben. Sie forderten die Vereinfachung des Übergangs von einem Volksbegehren zu einer bindenden Volksabstimmung. Doch wie würde sich das Konzept der Freiheitlichen auf Österreich auswirken?
Direkte Demokratie in Österreich
In Österreich sowie in vielen anderen EU-Ländern gibt es eine parlamentarische Demokratie, welche von direktdemokratischen Elementen ergänzt wird. In Österreich sind es Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen.
Beim Volksbegehren können ab 100.000 Unterstützungen Gesetzesvorschläge oder –änderungen in den Nationalrat gebracht werden. Ein aktuelles Beispiel ist das Frauen*volksbegehren. Bei der Volksbefragung fordern Politiker_innen oder die Regierung den Standpunkt der Bürger_innen zu einem politischen Thema wie z.B. die Volksbefragung zur Erhaltung der Wehrpflicht für Männer* im Jahr 2013. Bei der Volksabstimmung wird bindend entschieden und sie kann Verfassungsänderungen erwirken. Das kam bundesweit bis jetzt nur zweimal vor, nämlich im Jahr 1978, als über die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf entschieden wurde und 1995, als Österreich sich für den Beitritt in die Europäische Union entschieden hat. Bindende Abstimmungen sind also eher eine Seltenheit. (Mehr Informationen zu den direktdemokratischen Elementen auf help.gv.at)
FPÖ-Konzept der direkten Demokratie
Die FPÖ wollte aus den Volksabstimmungen keine Seltenheit mehr machen. Im vergangenen Nationalratswahlkampf war ein zentraler Punkt des Wahlprogramms der FPÖ der Ausbau der direkten Demokratie. Ihre konkrete Forderung war, dass wenn ein Volksbegehren von mehr als 4% der wahlberechtigten Bürger*innen unterstützt wird, es zu einer Volksabstimmung kommen muss, insofern das Parlament den Forderungen nicht nachgeht. Im Programm der FPÖ gab es auch keine Limitierung, über welche Gesetzes- bzw. Verfassungsänderungen abgestimmt werden dürfe. Es wäre also möglich das Parlament zu umgehen und beispielsweise über den EU-Austritt abzustimmen. Im Regierungsprogramm konnte die FPÖ ihr Konzept nicht in der Form durchsetzen, wie sie es wollte. Das Programm besagt nur, dass Volksbegehren aufgewertet werden sollen. Der Automatismus, dass diese auch Volkabstimmungen herbeirufen können ist jedoch erst für 2022, dem letzten Jahr ihrer Legislaturperiode, geplant. In der aktuellen Debatte über die Aufhebung, des 2015 beschlossenen Rauchverbots in der Gastronomie, ist die Meinung der FPÖ etwas anders. Das „Don’t Smoke“ Volksbegehren sammelte über 500.000 Unterschriften, was nach dem ursprünglichen FPÖ-Konzept ausreichend wäre, um eine Volksabstimmung in die Wege zu leiten. Die FPÖ beruft sich in dieser Situation auf den Koalitionsvertrag mit der ÖVP, der eben erst 2022 eine Änderung der direkten Demokratie vorsieht. Die ÖVP, in der viele gegen die Aufhebung sind, beruft sich auch auf den Koalitionsvertrag, wo die FPÖ das Kippen des Rauchverbots durchgesetzt hat. Aktuell haben die Regierungsparteien im Nationalrat für die Aufhebung gestimmt, weshalb am 1. Mai 2018 kein totales Rauchverbot in der Gastronomie eintritt.
Volksabstimmungen voller Populismus
Die wohl bedeutendste Abstimmung in den letzten Jahren war das „Brexit“-Referendum. Im Juni 2016 entschied sich die britische Bevölkerung für den Austritt aus der Europäischen Union. Diese Entscheidung war ein populistisches Spektakel von Wahlkampf und veschiedensten Kampagnen vorangegangen. Falsche Zahlen wurden von den Befürworter_innen des Austritts verbreitet und das Land spaltete sich. Viele Menschen informierten sich auch nicht ausreichend über den Sachverhalt. Am Tag nach der Abstimmung war eine oft gegoogelte Frage in Großbritannien: „what happens if we leave the EU?“.
Wie würde so ein Referendum in Österreich aussehen? Bei maßgeblichen Entscheidungen könnte mit dem FPÖ-System eine sehr kleine Interessensgruppe ein Volksbegehren injizieren und dieses dann zur Emotionalisierung treiben. Unterstützung könnte hierbei unter anderem vom Boulevard kommen, dessen Einfluss im letzten NR-Wahlkampf sowieso schon sehr beunruhigend war. Es ist also gut möglich, dass Volksabstimmungen zu umstrittenen Themen eine enorme Polarisierung herbeirufen könnten. Da stellt sich die Frage, ob das auch konstruktiv für Österreich wäre.
„Demokratie ist nicht die Diktatur der Mehrheit“
Das meinte Bundespräsident a.D. Dr. Heinz Fischer bei einer Festrede zum 150. Jubiläum der Wiener Juristischen Gesellschaft. „Wir wissen genau, dass die parlamentarische Demokratie der Schwarz-Weiß-Demokratie bzw. der Ja-Nein-Demokratie deshalb überlegen ist, weil mehrheitsfähige Interessen oder Emotionen nicht immer identisch mit der besten Lösung für das Land sind“, so Dr. Fischer. Gegebenenfalls ist es auch wichtig und richtig, Minderheitsinteressen und Expert_innenwissen in den Entscheidungsprozess mit einfließen zu lassen. Es ist auch gut mit direktdemokratischen Elementen den parlamentarischen Prozess zu verbessern. Dieser Prozess sollte aber nicht durch direkte Demokratie umgangen oder weggeschoben werden. Demokratie ist nämlich ein hohes Gut, mit dem nicht leichtsinnig umgegangen werden sollte. Dr. Heinz Fischer meint diesbezüglich: „Die Demokratie ist nicht unzerstörbar, umso größer ist die Verantwortung für die Demokratie.“