170 Mio Wüstenblumen
Alle 11 Sekunden wird weltweit ein Mädchen* verstümmelt
Spätestens seit dem Buch „Wüstenblume“ ist weibliche Genitalverstümmlung auch in Europa ein Begriff. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit bis zu 170 Millionen Frauen* und Mädchen* von F*GM (Female* Genital Mutilation) betroffen. Innerhalb Europas liegt die Zahl bei mehr als 500.000 Betroffenen.
F*GM ist ein Eingriff, bei dem die weiblichen* Geschlechtsteile teilweise oder ganz entfernt oder verletzt werden. Dadurch soll die sexuelle Lust der Frau* verhindert werden. Die Verstümmelung findet meist vor der Pubertät statt, häufig bei Mädchen* zwischen vier und acht Jahren. Allerdings werden solche Eingriffe inzwischen auch bei Säuglingen vorgenommen, die erst wenige Wochen oder Monate alt sind.
In den meisten europäischen Staaten ist F*GM direkt oder indirekt verboten, meistens sind die Gesetzte aber lückenhaft und werden nicht angewandt. Das einzige Land, in dem es je zu einer Verurteilung wegen weiblicher* Genitalverstümmelung kam, ist Frankreich. Außerdem ist F*GM in keinem europäischen Staat als Asylgrund anerkannt. Weibliche* Genitalverstümmelung wird hier noch als nicht europäisches Problem angesehen.
Die Weltgesundheitsorganisation unterscheidet vier verschiedene Typen von weiblicher* Genitalverstümmelung. Einer der häufigsten ist die sogenannte „Sunna-Beschneidung“, bei der die Klitoris-Vorhaut und die Klitoris oder zumindest Teile davon entfernt werden. Eine Beschneidungsform, bei der nicht nur Klitoris, sondern auch die inneren Schamlippen entfernt werden, ist ebenfalls möglich. Die fatalste Form der weiblichen* Genitalverstümmelung ist die „pharaonische Beschneidung“ oder auch „Infibulation“, bei der die gesamten äußeren Geschlechtsteile ausgeschnitten werden. Anschließend werden die Stümpfe der äußeren Schamlippen zusammengenäht. Übrig bleibt nur eine kleine Öffnung, damit Urin und Menstruationsblut ablaufen können. Bei dieser Form von Genitalverstümmelung werden noch zusätzliche Schmerzen durch das Öffnen der Narbe vor dem Geschlechtsverkehr oder vor einer Geburt verursacht. 15% der betroffen Frauen* und Mädchen* werden durch diese Art von F*GM verstümmelt. Dem vierten von der WHO festgelegten Typ werden alle anderen Prozeduren zugeordnet, bei der die weiblichen* Geschlechtsteile verletzt oder beschnitten werden. Darunter fallen das Durchstechen, Einschneiden oder Dehnen der Klitoris oder der Schamlippen, Vernarbung durch Brandwunden und das Einführen von ätzenden Substanzen oder Kräutern zur Verengung der Vagina.
Körperliche und psychische Folgen
Weibliche* Genitalverstümmelung hat gravierende gesundheitliche Auswirkungen. Sowohl auf das körperliche, als auch auf das psychische Wohlbefinden der betroffenen Frauen* und Mädchen*. Unmittelbar nach dem Eingriff kommt es häufig zu schweren Blutungen, Entzündungen, Tetanuserkrankungen, Blutvergiftungen oder Blasenlähmungen. Außerdem kann HIV/AIDS über nicht gereinigte Instrumente übertragen werden.
Langfristige gesundheitliche Folgen treten in Form von chronischen Infektionen (vor allem chronische Harnwegsinfektionen) auf, die sich weiter verbreiten und zu Nieren- oder Blasensteinen führen.
Opfer von F*GM klagen außerdem häufig über Schmerzen beim urinieren und insbesondere während der Menstruation. Außerdem wird der Geschlechtsverkehr zu einem schmerzvollen Akt und die Geburt eines Kindes führt oft zu verstärkten Blutungen und Geweberisse, durch die die Dauer der Geburt drastisch verlängert wird. Die meisten Opfer von F*GM erleiden durch den Eingriff psychische Traumata und es kommt zum Verlust der sexuellen Lustempfindung. Viele Mädchen* und Frauen* sind davon traumarisiert dass sie von einer sehr vertrauten Person – meistens der Mutter – an den_die Beschneider_in übergeben wurden. Darauf folgt meist ein Vertrauensverlust gegenüber dem engsten Verwandtenkreis. Oft wird die Erinnerung an den Eingriff von den meisten Frauen* komplett verdrängt, was zu lebenslangen Panikattacken und Albträumen führt.
Woher kommt F*GM und warum existiert es immer noch?
Die Ursprünge dieser Tradition sind nicht klar festzulegen, es ist aber sehr wahrscheinlich, dass sie bereits vor mehreren tausend Jahren begann. Die erste Aufzeichnung über eine weibliche* Beschneidung entstand 500 v. Chr in Ägypten. Im Laufe der Geschichte wurde weibliche* Genitalverstümmelung dann im Kontext der Verehrung von Jungfräulichkeit und Keuschheit durchgeführt. Diese Begründung für F*GM findet man auch noch heute in vielen afrikanischen und arabischen Kulturen.
Allerdings beschränkt sich F*GM keinesfalls nur auf arabische und afrikanische Länder. Die Beschneidung der Klitoris war im 19. Jahrhundert in Europa weit verbreitet. Nach der damaligen Ansicht war Masturbation einer der Hauptgründe für geistige Krankheiten bei Frauen*. Mit Hilfe der Beschneidung wollte man dem entgegenwirken. Außerdem versuchte man weibliche* Homosexualität und „Hyper-Sexualität“ durch Verstümmelung der weiblichen Genitalien zu „heilen“. Heutzutage gibt es drei verschiedene Gründe, warum F*GM durchgeführt wird. Der erste Grund ist die angebliche ungezügelte Sexualität der Frau*, die durch die Genitalverstümmelung eingedämmt werden soll, da eine Heirat in diesen Kulturen „Jungfräulichkeit“ zur Bedingung hat. Aus sozialer Sicht ist F*GM in gewissen Kulturen ein Initiationsritus, mit dem der Prozess des Erwachsen-Werdens und des Frau*-Werdens abgeschlossen wird. Als weitere Gründe werden häufig „Ästhetik und Hygiene“ angeführt, da in einigen Gesellschaften die Klitoris als unschön betrachtet wird. Außerdem sei F*GM gut für die geistige und körperliche Gesundheit.
Es gibt einige Organisationen die sich mit dem Thema F*GM auseinandersetzten und dagegen vorgehen, zum Beispiel die „Desert Flower Foundation“. Diese Organisation eröffnete 2013 das erste ganzheitliche Betreuungszentrum für Opfer von F*GM. Seit diesem Ereignis wurden noch einige wichtige Schritte zur Bekämpfung von weiblicher* Genitalverstümmelung gemacht. Allerdings ist das Ziel heute leider noch lange nicht erreicht.