Die Unfreie Meinung
Politische Gefangenschaft gibt’s doch gar nicht mehr oder höchstens irgendwo, in irgendwelchen Diktaturen, aber auf keinen Fall in Europa oder gar bei uns in Österreich! So zumindest die weit verbreitete Meinung.
Doch ist das wirklich so?
Sie kamen bei Nacht
Es ist der 30. April 2017. Meşale Tolu liegt in ihrem Bett und schläft tief und fest. In derselben Wohnung schläft ihr zweieinhalbjähriger Sohn. Ihre Welt ist in Ordnung. Zwischen vier und fünf Uhr in der Nacht soll sich ihr Leben jedoch schlagartig verändern. Denn circa zu dieser Zeit erreicht die türkische Antiterroreinheit der Polizei ihre Tür. Dann geht alles sehr schnell. Die Tür wird eingetreten, Befehle werden erteilt, Tolu und ihr Sohn werden aus dem Schlaf gerissen. Gewaltsam wird Tolu zu Boden gepresst und verhaftet. Sie hat keine Möglichkeit ihre Familie anzurufen oder, ihre Rechte einzufordern. Ihren Sohn muss die 33-Jährige Mutter bei den ihr unbekannten Nachbar_innen lassen.
Wann sie zurückkommt? Weiß sie nicht.
Was mit ihr geschehen wird? Weiß sie nicht.
Nur warum sie in dieser Situation ist, wird ihr allmählich klar.
Sie ist eine politische Gefangene.
Meşale Tolu ist Mitglied der linken Nachrichtenagentur Etha und arbeitet für einen Radiosender namens Özgur Radyo, auf Deutsch Freiheitsradio. In ihren Sendungen beschäftigt sich die Reporterin in erster Linie mit Frauen*themen, wie zum Beispiel Feminismus in der Türkei. Sie setzt sich aber auch mit der Kurd_innenfrage auseinander. Besonders das zweite Thema wurde ihr vermutlich zum Verhängnis. Beide genannten Institutionen stehen laut der türkischen Regierung in Verbindung mit dem missglückten Militärputsch 2016 und verbreiten, laut offizieller Seite, Propaganda für eine terroristische Vereinigung. Dass Regimekritik als Terrorpropaganda gilt, ist in der Türkei in den letzten Jahren wohl dem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu verdanken. Meinungsfreiheit wird nun mal nicht gern gesehen, bei einem Machthaber mit absolutistischen, beziehungsweise leicht faschistischen Tendenzen.
Absolutistische Tendenzen?
Davon kann wohl auch das Staatsoberhaupt Russlands, Vladimir Putin ein Lied singen. Russland gilt laut Amnesty International immer noch als eines der Länder, das am schlechtesten mit Regimekritik umzugehen weiß. Ein Beispiel dazu:
Der größte Kontrahent Putins in den im März 2018 stattfindenden Wahlen in Russland, heißt Alexej Nawalny und ist ein russischer Blogger mit Ambitionen in der Politik. Nawalny kommt bei der russischen, kremlkritischen Bevölkerung sehr gut an, auch wenn er keine ernsthafte Konkurrenz für den Wahlsieg Putins darstellen mag. Seinem Ziel, als Kandidat gegen den derzeitigen Machthaber anzutreten, steht nur eine entscheidende Sache entgegen: Er saß bereits mehrmals hinter Gittern, stets wegen Regierungs- oder Riesenkonzernkritischen Arbeiten, die er verfasst hatte. Er selbst sieht die Situation allerdings mehr oder weniger gelassen. Laut eigener Aussage werde er, falls ihm die Antrittsmöglichkeit verweigert werden sollte, all seine potenziellen Wähler_innen zum Boykott aufrufen. Auch dass der Kreml ihm hier erneut androht, ihn wieder ins Gefängnis zu stecken, scheint ihn nicht zu interessieren. Alles was er erreichen will ist In- und Ausland zu zeigen, dass er bereit ist für seine Sache einzustehen, egal welchen Preis er dafür zu zahlen hat.
Warum ist politische Gefangenschaft so problematisch?
Grundsätzlich ist es allen Staaten, die den Menschenrechten zustimmen, verboten, politische Gegner_innen zu inhaftieren. Jeder Mensch hat ein Recht auf die eigene Meinung und darauf diese, sei es durch Wort, Schrift oder Kunstwerk, in der Gesellschaft zu verbreiten. Diese Meinungsfreiheit darf dem_der Einzelnen unter keinen Umständen streitig gemacht werden. Weiters ist jeder Staat dazu verpflichtet, all seine Staatsbürger_innen gleich und fair zu behandeln, von ihrem Aussehen, ihrer Herkunft oder eben ihrer politischen Ansichten komplett abgesehen. Entschließt sich also ein Staat dazu einen politischen Gegner oder eine politische Gegnerin zu inhaftieren, so ist das ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte. Das Problem daran ist gut am Fall Meşale Tolu auszumachen. Sie wurde natürlich nicht wegen Regimekritik oder so etwas wie falscher politischer Ansichten inhaftiert. Sondern wegen Verbreitung terroristischer Propaganda. Was ein Staat als „terroristische Propaganda“ definiert ist sehr weit dehnbar. Deshalb gibt es auch heute noch so zahlreiche politische Gefangene.
Politische Gefangene in Österreich?
Auch in Österreich gibt es politische Gefangenschaft, zum Beispiel in Form von Peter Rosenauer, einem Greenpeace Aktivisten, sowie Sprecher der NGO Resistance for Peace. Verurteilt wurde er wegen einer vermeintlich friedlichen Protestaktion, gegen Echtpelzverkauf einer österreichischen Bekleidungsfirma. Auf Facebook startete kurz nach seiner Inhaftierung 2015 die Kampagne Freiheit für Peter Rosenauer – keine politischen Gefangenen in Österreich. Ob Rosenauer als politischer Gefangener einzustufen war wird immer noch diskutiert. Fakt ist jedoch: Er hat seine Strafe abgesessen. Sieben Monate in der JVA Simmering.
Wer weiß, was die Zukunft Tolu und Nawalny bringt.
Wer weiß, was die Zukunft allen anderen weltweit politischen Gefangenen bringt.
Wer weiß, wann es überall auf der Welt möglich sein wird, für die eigene Meinung einzustehen und das ohne jegliche Angst.