Ich bin Staatsfeind Nummer 1
Als ich bei einem rechtsextremen Treffen zum Thema „Meinungsfreiheit“ dabei war:
Der Raum ist voll bis zum letzten Sitzplatz. Ich schaue mich um und sehe nur weiße alte und weiße junge Männer. Einige kommen mir bekannt vor, wahrscheinlich von den diversen FPÖ Plakaten auf den Straßen in Linz bzw. den Social Media Werbungen im Internet. Die Männer hängen an den Lippen der Vortragenden der Podiumsdiskussion, während bei jeder Schuldzuweisung an Dritte, wie Flüchtlinge und Gegendemonstant_innen, ihre Begeisterung exponentiell ansteigt.
Das einzige was mir durch den Kopf schießt: Wieso fotografiert mich der Fotograf der Veranstaltung seit einigen Minuten?
Zur Info:
Am 22. November veranstaltete „Info-Direkt“ im Namen der FPÖ Linz eine Podiumsdiskussion. Sie hieß: „Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit in Gefahr“.
„Info-Direkt“ meldete ihre Veranstaltung vorher in einer Räumlichkeit der Stadt Linz an, aber die Stadt Linz untersagte dies aus Sicherheitsgründen. Daraufhin stieg die FPÖ Linz sehr rasch ein und machte sich sogar selbst zur Veranstalterin. „Info-Direkt“ erhielt durch die Beteilung der FPÖ ein „Upgrade“. Sie brachten sie im alten Rathaus der Stadt Linz, im Zentrum der Linzer Gemeinderatspolitik unter.
Wer sind „Info-Direkt“?
„Info-Direkt“ gehört wie „Wochenblick“ und „Unzensuriert“ zu einer Gruppe der sogenannten „alternativen“ Medien, die sich selbst als Wahrheitsbringer_innen inszenieren und alle anderen Medien als Mainstream abstempeln. Sie hetzen gegen Minderheiten, verdrehen Zitate, beziehen sich nicht auf Fakten und sind Unterstützer_innen der rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, kurz DÖW, stuft dieses Magazin als rechtsextrem und neonazistisch ein.
Warum dieses Magazin wichtig ist? Die FPÖ nutzt diese faschistischen Zeitschriften und Blogs als Grundlage, um Hetze zu verbreiten. Als Mitglied der Landesregierung in OÖ und zukünftig auch Teil der Bundesregierung legitimiert die FPÖ diese „Nachrichten“ als vertrauenswürdige Quellen inklusive ihrer Inhalte.
Staatsfeind Nummer 1
Nach der Kundgebung des „Bündnis Linz gegen Rechts“, welche nochmal verdeutlichte, dass Faschismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen, habe ich mich gefragt, welches Klientel denn bei dieser Veranstaltung dabei sein würde. Thomas Brezina hat mir immer gesagt, dass ich auf der Spur bleiben soll – also habe ich das auch gemacht!
Aus diesem kleinen Gedanken ist Realität geworden und ich stehe plötzlich mit drei weiteren Personen, die ebenfalls die Veranstaltung besuchen wollen, im Lift. Es war ein älteres Ehepaar, vermutlich mit ihrem schon erwachsenen Sohn. Auf die Nachfrage der Eltern, in welchen Stock sie müssten, reagierte er nicht. Vermutlich weil er die ganze Liftfahrt etwas besseres zu tun hatte: mich anzustarren. Ich lächle einfach freundlich zurück.
Im 4. Stock angekommen erwarten mich Security Typen mit einem Bomben- und/oder Drogenspürhund, die mich und meine Tasche sehr gründlich untersuchen. Auch meinen Hipster Makava Eistee wird mehreren Schnüffel Tests unterzogen. Ich lächle immer noch freundlich.
Mir scheint, Personen wie ich würden ein besonderes Risiko darstellen. Leute wie ich, fragst du dich? Ich habe einen Bart, bin nicht weiß und ein Mann*. Somit bestätige ich wohl genau jenen Stereotyp, das brav von Boulevard und „alternativen“ Medien aufgebaut wurde. Außerdem sind meine politischen Ansichten links und ich war davor auf der Gegenkundgebung zu eben dieser Veranstaltung.
Obwohl ich nicht für diese Security Tests vorbereitet war, habe ich sie trotz alledem bestanden. Ich bewege mich mit langsamen, zurückhaltenden Schritten in den sehr vollen Saal. Davor mache ich einen kurzen Halt bei der Auslage, ich schaue mir Bücher und ältere Magazine von „Info-Direkt“ an.
Sofort machen mich Titel wie „Gutmenschen – So schaden sie dem schwarzen Kontinent“ oder „Eine andere Welt ist möglich – Zu Gast bei einer kinderreichen Bilderbuchfamilie“ (12-köpfige Familie!), aber auch „Unzeitgemäß und Stolz darauf (2.Teil) – Ein Burschenschafter über seine erste Mensur“ aufmerksam und nervös. Jede Körperzelle in mir will sich umdrehen und weglaufen, aber ich bin schon so weit gekommen. Nach einigen motivierenden Sprüchen, die ich mir am Klo auf der Facebook Seite „nachdenkliche Sprüche mit Bildern“ durchlese, bin ich bereit, den Saal zu betreten. „Ein Schritt nach dem anderen, so wie du es die letzten Jahre gelernt hast, Daniel“, sage ich vor mich hin. Dabei merke ich gar nicht, wie mich alle Anwesenden anstarren. Als wäre ich als Mensch die Personifikation für all ihre Feindbilder. Was mache ich jetzt? Mein langsamer und zurückhaltender Gang verändert sich in einen strammen und aufrechten Gang, weil ich mir einbilde, dass das weniger auffällt. Macht den Blicken zufolge jedoch leider keinen Unterschied.
Nun bin ich da, am Ende der letzten Sitzreihe, stehend an der Wand. Während alle anderen Teilnehmer_innen der Veranstaltung herzlich miteinander lachen, schaue ich in die Menge und erkenne einige Personen aus der Politik. Zum Beispiel den FPÖ Nationalratsabgeordneten Roman Haider oder den FPÖ Bundesrat Michael Raml. Bei dem immer lässigeren Anlehnen an der Wand, fällt mir auf, dass ein ca. 65-jähriger alter Mann mit weißen Haaren mit einer alten Digitalkamera auf mich zielt und abdrückt. Nachdem die Kamera sein Gesicht verlässt, bleibt nur ein grimmiges Anstarren in meine Richtung zurück. Irritiert suche ich mir einen Sitzplatz und warte bis die Veranstaltung beginnt.
Der Moderator beginnt über die Weimarer Republik zu referieren, aber mein Blick wendet sich rasch zu einem anderen Fotografen. Er versucht aus 50 Metern Entfernung durch die Glaswand mit seiner teuer aussehenden Spiegelreflexkamera, unerwünschte Portraits von mir zu machen. Sofort verdecke ich mein Gesicht mit der linken Hand und mein Blick wendete sich nach unten. Auch nach längerem Halten der Position, bleibt die Kamera immer auf mich gerichtet. Der Fotograf berät sich mit einem Kollegen und ahmt meine Haltung nach, die sie anscheinend für sehr witzig halten.
Also verlasse ich die Podiumsdiskussion und gehe mit meiner neu gelernten Gangart zur Magazin Auslage, wo der Fotograf und sein Kollege plötzlich einer anderen spannenden Tätigkeit nachgehen, nämlich die Decke zu begutachten. „Wenn du ein Foto von mir haben willst, kann ich dir gerne eines geben“, erkläre ich dem Fotografen. Überrascht senkte er seinen Kopf und schildert mir, dass er nicht nur mich fotografiert hat, sondern das gesamte Publikum. Nach mehrmaligem hin und her gesteht er, dass er sehr wohl von mir Fotos machte, weil ich vorher bei der Gegendemonstration beobachtet wurde. Er zeigt mir das soeben entstandene Foto und beklagt, dass man mich durch die Spiegelung der Glaswand nicht genau sieht. Mir ist es äußerst unangenehm, dass auf dieser Veranstaltung Fotos von mir gemacht werden und bitte ihn, es zu löschen. Natürlich verneint er und versichert mir, es werde „eh nicht veröffentlicht“, was mich nur noch mehr beunruhigt. Ich biete ihm ein Geschäft an und frage ihn höflich: „Schau, du hast ein Foto von mir gemacht und jetzt ist es doch nur fair, wenn ich jetzt ein Foto von dir mache“. Sofort schießt aus ihm ein „Nein“ heraus und sein falsches Lachen wandelt sich in einen ernsten „Trau dich und du wirst schon sehen“ – Gesichtsausdruck. Ich kann den Gesichtsausdruck nicht sofort lesen, aber glücklicherweise sagt er es mir auch nocheinmal. Während des ganzen Gesprächs steht im Hintergrund der Security Typ mit diesem Bomben- und/oder Drogenspürhund. Ich bleibe bei meinem Lächeln, als der Fotograf wieder zur Veranstaltung zurückkehrt und seinem eigentlichen Job, Bilder von der Podiumsdiskussion anstatt von mir zu machen, nachgeht.
Sein Kollege bleibt ruhig. Ich breche das Eis und beginne ein Gespräch: „So… hat es eigentlich sehr geschmerzt, als man dir den Degen ins Gesicht schlug?“ Der Kollege – ich nenne ihn jetzt einfach
Ewald – erzählt mir, dass es zwar unangenehm war, er aber den Schmiss sicher nicht bereut.
Ewald ist ca. 30, verheiratet, hat einen Schmiss in der rechten Gesichtshälfte, ist natürlich FPÖ Mitglied und Mitglied der Burschenschaft „Armenia Czernowitz zu Linz“. Mir war von Anfang an klar, dass ich jetzt keine Grundsatzdiskussion mit einem Burschenschafter beginnen werde, dessen Burschenschaft z.B. im Sommer 2011 eine „Erklärung zum volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff“ unterzeichnete. Diese „Erklärung“ verlangt, dass der sogenannte „Arierparagraph“ bestehen bleiben soll, da „die Abstammung als notwendige Voraussetzung deutscher Volkszugehörigkeit …“, wichtig sei und ohne diesen Paragraphen sich die „Burschenschaft ihrem inneren Wesen nach selbst auf[geben]“ würde (Burschensch
aftliche Blätter 2/2011).
Nach einigen Fragen über die Burschenschaft erklärt er mir, dass es wichtig ist, dass es verschiedene Völker gibt, sie sich aber keinesfalls vermischen dürften. Außerdem behauptet Ewald, mit Hilfe seiner „alternativen Fakten“, dass es seit der Flüchtlingsbewegung mehr Verbrechen in Österreich gibt als zuvor.
Ewald ist sehr zurückhaltend und unsicher mit seinen Antworten und achtet haarscharf darauf, wie er etwas von sich gibt. Er scheint schon zu wissen, wer da vor ihm steht. Nach einer Stunde, gefüllt mit Erklärungen seinerseits darüber, dass er und seine Burschenschaft die wahren Opfer in unserer Gesellschaft sind, reicht mir das Gespräch und ich verabschiede mich lächelnd. Mit jedem Schritt, den ich in Richtung Lift tätige, senkt sich mein Lächeln und ich gerate immer mehr in Panik. Aber warum?
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen
Denn all diese Leute sitzen in unseren Gemeinderäten, in den Landesregierungen und zukünftig in der Bundesregierung. Sie sind mitten in unserer Gesellschaft. Sie gehören endlich enttarnt als das, was sie sind. Als Rechtsextreme und Deutschnationale, die wieder ein Österreich (sorry Deutschland) wollen, wie jenes, welches es vor 84 Jahren schonmal gab.
Es ist Zeit, auf die Straße zu gehen. Es ist Zeit, diesen Gedanken endlich im Keim zu ersticken, bevor sich die Geschichte wiederholt.