Mit Gedenkdienst dem Vergessen widersprechen: „Wir leisten aktive Erinnerungspolitik!“
New York – Tel Aviv – Terezin: Einblicke in die Arbeit drei Jugendlicher im Ausland
Drei junge Österreicher_innen in New York, Theresienstadt und Tel Aviv. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie arbeiten ein ganzes Jahr lang in Holocaust-Gedenkstätten, arbeiten in Archiven und Museen oder betreuen Überlebende der Shoah. Das alles machen sie im Rahmen des Gedenkdiensts. In den folgenden Tagen, werden wir euch die drei Jugendlichen und ihre Arbeit vorstellen
Felix, Katharina und Markus sind drei von 20 Freiwilligen, die jedes Jahr vom Verein GEDENKDIENST in Länder geschickt werden, in denen Nazis und ihre Mittäter_innen Verbrechen begangen oder in denen Überlebende der Mordmaschinerie bis heute leben. Sie erzählten uns in diesem Interview über ihre Motivation, weshalb sie den Gedenkdienst leisten und berichteten von ihren persönlichen Erfahrungen an ihrer Einsatzstellen.
Jedes Jahr können sich bis Anfang Dezember Freiwillige für die Gedenkdienst-Stellen bewerben. Nach einem Auswahlseminar bei welchem die Stellen besetzt werden, bereiten sich die Gedenkdienstleistenden bei drei zusätzlichen Seminaren auf ihre Arbeit vor. Durch eine Überarbeitung des Freiwilligengesetzes im Jahr 2016 können nun auch Frauen* und nicht wehrpflichtige Männer* mit staatlicher Unterstützung Gedenkdienst leisten. Aber auch die Förderungen von der Republik Österreich sind in den letzten Jahren immer wieder gesunken und durch ein neues Gesetz gab es eine weitere Kürzung. Auf gedenkdiensterhalten.com eklärt der Verein GEDENKDIENST die Probleme mit der momentanen Fördersituation.
Felix Vorberg
Wie waren deine ersten Eindrücke, nach der Ankunft in einem neuen/fremden Land?
Felix: Wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir so vor, als wäre ich erst gestern aus dem Flieger gestiegen – mit viel zu viel und vor allem zu warmen Gewand an meinem Körper. Als ich dann komplett verschwitzt bemerken musste, dass die Haltestellen nur in Hebräisch angeschrieben sind (damals konnte ich noch kein Hebräisch lesen), die Busse nicht an den gekennzeichneten Haltestellen hielten und ich von meiner Vermieterin auch noch nichts gehört habe, bekam ich dann ein bisschen Panik und fragte mich, warum ich das überhaupt machen möchte. Warum wollte ich unbedingt Gedenkdienst in einem Altenheim mit Holocaust-Überlebenden leisten? Nachdem ich schlussendlich diese ersten Hürden überwältigt hatte, merkte ich schon in den ersten Arbeitstagen, dass meine Entscheidung goldrichtig war. Selten wurde ich so herzlich empfangen, wie von all diesen netten Menschen im Altersheim.
Jedes Land und jede Einsatzstelle des Gedenkdiensts hat unterschiedliche Tätigkeitsbereiche. Was machst du genau? Welchen Herausforderungen musst du dich stellen?
Felix: Im Altersheim erlebe ich so oft tolle und eindrucksvolle Momente, die mich fesseln und ich habe das Gefühl, einen wichtigen Beitrag zu leisten. Da gibt es zum Beispiel Magda, eine bald hundert Jahre alte Überlebende mehrerer Konzentrationslager, die ich jeden Tag besuche. Sie sagte mir vor kurzem, dass ich einer ihrer besten Freunde sei, unsere Gespräche das Highlight ihres Tages wären und sie an manchen Tagen nur dafür gerne aufstehe. Oder Judith, die sich jeden Tag wie ein kleines Kind zum Geburtstag freut, wenn ich ihr Frühstück ans Bett bringe. Oder das Strahlen in Hedis Augen, wenn ich ihr wieder einmal von der Landschaft in Österreich, insbesondere vom Wienerwald, erzähle. Es sind jeden Tag aufs Neue diese kleinen Momente, die mir zeigen, wie wichtig mein Gedenkdienstjahr hier ist. Meine Aufgaben umfassen die Unterstützung des Teams bei der Essensausgabe, in Einzelaktivitäten mit den Bewohner_innen und in Gruppenaktivitäten. Besonders die Einzelgespräche sind meiner Meinung nach wahnsinnig wichtig, da sie für viele Bewohner_innen die letzten Bezugspunkte zu ihrer alten Heimat Österreich sind und sie eine der wenigen Gelegenheiten sind, Deutsch zu sprechen. Natürlich gibt es auch immer wieder Tage, die schwerer sind. Das Arbeiten mit alten, teilweise vollpflegebedürftigen Menschen ist nicht immer einfach und erfordert oft sehr viel Geduld. Aber ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass die schönen Momente und das Wissen, etwas Gutes und Sinnvolles zu tun, das alles aufwiegen.
Der Dienst an sich wird nicht entlohnt. Die Förderung soll Versicherungskosten, Mieten, Verpflegung (Essen), öffentliche Verkehrsmittel decken. Jede_r Gedenkdienstleistende eures Jahrgangs bekommt 9.000 Euro für 12 Monate – deine Nachfolger_in ab August 2017 sogar noch weniger. Hand auf’s Herz: Kommst du mit dem Geld um die Runden? Geht es sich aus?
Felix: Das ist die einzige Sache, die ich an meinem Gedenkdienstjahr bemängeln muss: die karge Förderung seitens der Republik Österreich, die im Laufe der Jahre immer wieder gekürzt wurde. Das Leben von der Förderung, die ich bekomme, ist sehr schwer bis kaum möglich. Auf jegliche Freizeitbeschäftigungen sowie kulturelle Angebote muss dabei verzichtet werden. Mittlerweile ist die Förderung schon so gering, dass der Verein GEDENKDIENST seit vorigen Herbst diskutiert, ob es eigentlich noch zu verantworten ist, weiterhin Gedenkdienstleistende ins Ausland zu entsenden.
Welche Relevanz haben Vereine/Initiativen, wie der Verein GEDENKDIENST, die sich mit Erinnerungsarbeit und Gedenkpolitik im Kontext mit Nationalsozialismus und dessen Auswirkungen auseinandersetzen, mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges? Soll ein Schlussstrich gezogen werden?
Felix: Initiativen wie der Verein GEDENKDIENST, die gegen das Vergessen des Holocaust kämpfen und für aktive Erinnerungsarbeit sowie Gedenkpolitik eintreten, sind meiner Meinung nach auch noch im 21. Jahrhundert extrem wichtig. Sei es, da die letzten Holocaust-Überlebenden es verdienen, so weit wie möglich unterstützt zu werden und sie sehen sollen, dass die Republik und die Zivilgesellschaft Österreichs sich mit der Vergangenheit kritisch befassen und ein klares Zeichen der Wiedergutmachung setzen. Sei es, da die Millionen im Holocaust ermordeten Menschen Respekt und Gedenken verdienen; oder sei es, da es rechtsextreme antisemitische Headlines immer wieder in die österreichischen Nachrichten schaffen und zeigen, dass nationalsozialistisches Gedankengut leider immer noch nicht aus allen Köpfen verschwunden ist und sogar wieder „neu“ entsteht.