Gemeinsam leben lernen
Sie flüchten aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak und stoßen in Österreich nicht nur auf sprachliche Problem. Das Sprachencafé BG Bludenz versucht diese Barrieren gemeinsam mit den Flüchtlingen zu überwinden. Weniger reden, mehr tun. Sagt man. Aber was, wenn mehr tun bedeutet, mehr zu reden?
„Es geht nicht darum, ob wir helfen wollen, sondern darum, dass wir helfen müssen.“ Mit diesen Worten reagierte der Direktor des BG Bludenz, Helmut Abl, als letzten September von einigen Schüler_innen der Oberstufe und Lehrpersonen der Vorschlag eines Sprachencafés eingebracht wurde.
Seither finden sich jeden Mittwochnachmittag für zwei Stunden jugendliche Geflüchtete, die von der Caritas betreut werden, und Schüler_innen der zehnten bis zwölften Schulstufe in der Schulbibliothek zusammen, um Deutsch zu lernen. Weniger reden, mehr tun. Sagt man. Aber was, wenn mehr tun bedeutet, mehr zu reden? Das ist die Prämisse des Projekts und ein Beweggrund aller Mitwirkenden, sich in dieser Form zu engagieren. Die Ankommenden lernen nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch, wie es ist hier zu leben, wir Schüler_innen lernen, was es bedeutet, alles hinter sich zu lassen und neu anfangen zu müssen. Ungefiltert.
Die jugendlichen Geflüchteten haben fürchterliche Dinge erlebt, waren teils monatelang auf der Flucht, um in ein Land zu kommen, das nicht von Krieg zerrüttet ist. Sie kommen aus Ländern wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Neben der gewöhnlichen Probleme von Teenager_innen, die uns österreichischen Jugendlichen auch bekannt sind (fehlende Motivation, Lust am Anecken, Gefühl der Isolation), kommt für sie noch hinzu, dass sie in ein völlig fremdes Land kommen, von dem sie weder die Sprache noch die Kultur kennen. Wir können uns so etwas gar nicht vorstellen, sind bisher in einer wohlbehüteten Umgebung aufgewachsen und mussten uns keine existenziellen Sorgen um unsere Situation machen. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen gegenüber Empathie und Wertschätzung zeigen. Daher haben wir, interessierte Schüler_innen unserer Schule, die Initiative ergriffen und versuchen, völligen Deutsch-Neulingen mit Geduld und Verständnis unsere Sprache beizubringen. Wir handeln dabei nach dem Grundsatz: „Wenn du mehr Glück gehabt hast als andere, ist es besser, einen längeren Tisch zu bauen als einen höheren Zaun.“
Unsere Strategie
Wir Schüler_innen lernen jede Woche am Mittwoch (von 13:15 – 15:15) zusammen mit jugendlichen Flüchtlingen Deutsch. Es wird in kleinen Gruppen gearbeitet, möglichst in einem Betreuungsverhältnis von 1:1. Dadurch ist eine individuelle Lernbegleitung möglich. Wir können den Unterricht ihrem Niveau nach anpassen und ihnen unsere Sprache und Kultur besser näherbringen. Insofern unterscheidet sich das Sprachencafé stark von herkömmlichen Deutschkursen. Es geht nicht darum, dass perfektes Deutsch erlernt und gelehrt wird, sondern vielmehr um ein alltägliches Sprachverständnis. Im Dialog wird man auf sprachliche Unsicherheiten/Unklarheiten/Unterschiede aufmerksam, die sich nur durch den Gebrauch der Sprache bemerkbar machen.
Das Projekt lebt von gegenseitigem Respekt. Es herrscht eine positive Energie, die sich auch auf die jugendlichen Geflüchteten überträgt: Sie fühlen sich willkommen, aufgefangen, ernst genommen und machen Fortschritte, mal rascher, mal schleppender.
Wobei die Jungen*, die am Anfang die größten Fortschritte machten, sich seit Beginn an mit der geprüften und Deutschlehrerin unserer Schule, Barbara Winkler, auf ihre A2 und B1 Prüfungen vorbereiten. Ansonsten lernen die Geflüchteten gemeinsam mit den Schüler_innen. Das im Regelunterricht typische Autoritätsgefälle (Schüler_in-Lehrer_in) fällt weg. Es findet Kommunikation auf Augenhöhe statt.
Dabei bilden sich von Woche zu Woche immer dieselben Teams, damit wir eben besser auf jede_n Lernende_n eingehen können. Demnach bilden sich auch Freund_innenschaften und wir verbringen mittlerweile auch unsere Freizeit mit den Jugendlichen (wandern, Fußball spielen, Kekse backen, …).
Dieses Projekt kann und wird nicht allein von uns am Leben erhalten. Für den organisatorischen Hintergrund sind Lehrer_innen gleichermaßen wie Schüler_innen zuständig. Das Helfer_innenteam organisiert sich über eine WhatsApp Gruppe. In dieser können Fragen, Wünsche und Beschwerden vorgebracht werden. Anfangs fanden auch kurze Strategiesitzungen statt, um das Projekt vor- und nachzubereiten.
Ein Kernteam, bestehend aus vier Schülerinnen* und Jürgen Schacherl, Deutschlehrer und Co-Leiter des Projektes, organisiert neben Materialien in Form von Übungsblättern auch Workshops oder Vorträge für das Helfer_innenteam und kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Projektes (Facebook-Seite, Einreichung bei Wettbewerben).
Alle gemeinsam, wir Schüler_innen und die beteiligten Lehrer_innen, sorgen für einen organisatorisch reibungslosen Ablauf. Wir nehmen auch an Fortbildungen teil und arbeiten bei Arbeitsgruppen mit, um den Deutschunterricht noch zu optimieren und unsere Sprache einfach, verständlich und einprägsam zu übermitteln. Wenn man die eigene Sprache einem Menschen zu erklären versucht, und dieser keinerlei Vorkenntnisse zu dieser Sprache hat, ist es nicht nur schwer einen Ansatz zu finden, um mit dem Lernprozess anzufangen, sondern auch viele Sachen, die dir entweder so nie aufgefallen sind oder du ganz automatisch machst, zu erklären.
Nächster Stichpunkt: die Kultur.
Es bestehen doch große Unterschiede zwischen der österreichischen und der arabischen Kultur. Gleich zu Beginn wurden kulturelle Differenzen deutlich. Die fast ausschließlich männlichen Geflüchteten standen den fast ausschließlich weiblichen Helfer_innen gegenüber. In der einigen arabischen Ländern genießen Frauen* noch nicht denselben Gesellschaftsstand wie zum Beispiel in Österreich. Gender-Sensibility und -Equality werden zwar auch bei uns noch oft von Reaktionären angegriffen, es gibt jedoch fest in die Gesellschaft integrierte Rechte, die in manch anderen Erdteilen noch nicht erkämpft wurden. Schnell hat sich jedoch herausgestellt: Dies ist kein Problem! Wir erleben nur einen respektvollen und höflichen Umgang miteinander.
Doch nicht nur das machte es von Anfang an für beide Seiten spannend. Wir hatten keine Vorstellung wie sich das Projekt entwickeln würde. Viele Fragen kamen auf. Wie soll ich anfangen? Wo kann man ansetzen? Wie werden wir das gestalten? Wer ist eigentlich mein Gegenüber? Nach wenigen Wochen klärten sich diese Fragen jedoch ganz von selbst. Beide Seiten versuchten aufeinander zuzugehen und man lernte sich gegenseitig und die Kultur des_der anderen zu respektieren. Auf eine andere Art und Weise aus einer komplett neuen Perspektive. Nicht über Medien. Doch für viele von uns war es der erste Kontakt mit den Menschen, von denen die Medien seit Wochen (damals schon) beherrscht wurden. Man stellt fest, dass diese Menschen eigentlich genauso sind wie wir. Geeint sind wir in der Überzeugung, dass das, was wir tun, wichtig für uns als Menschen unter Menschen ist, zum Abbau von Vorurteilen beiträgt und den Respekt zwischen den Kulturen fördert. Auch wenn der Gegenwind stärker wird. Wir machen weiter.
Autorinnen: Adela Đulović & Marie Königbaur