Die Suche nach der Existenzberechtigung
Ein kurzer Einblick in die Queer Base und wie Hassan seinen Weg dorthin fand.
Auch an diesem kühlen Oktoberabend wirkt das grell-pinke Gebäude mit der Regenbogenflagge an der Fassade durchaus einladend. „Lesben- und Schwulenhaus“ rankt in großen schwarzen Lettern über dem Eingang. Fast so als wollten sie sagen: „Wir sind da. Man kann uns nicht übersehen. Und wir gehen nicht weg.“ Ein etwas extravagantes Bauwerk, das offensichtlich nicht jeden erfreut. Schon einmal sorgte die gesprayte Aufforderung „Töte Schwule“ an der Hausmauer für Empörung. Nicht jedoch für Einschüchterung. Wenige Tage später bekundeten rund 200 Menschen vor der „Türkis Rosa Lila Villa“ ihre Solidarität und Toleranz.
[Triggerwarnung! Explizite Beschreibung von sexualisierter Gewalt]
Aber nicht nur vor der Villa wird sich für die LGBTQ*-Community eingesetzt. Marty Huber, langjährige Beraterin und Aktivistin, kämpft hier seit ungefähr zwei Jahren im Rahmen der „Queer Base“ für die Rechte queerer Flüchtlinge. Sie sieht die Geschehnisse mit Optimismus.
„So etwas passiert immer wieder. Durch die Sichtbarkeit des Hauses fühlen sich manche provoziert und dagegen wollen sie sich in irgendeiner Weise äußern.
Wir haben versucht, die Aufmerksamkeit, die dadurch entstanden ist, zu nutzen und damit Spendengelder zu lukrieren. Die Queer Base ist auch ein Ergebnis daraus. Diese Situation war für uns ein Sprung in die größere Öffentlichkeit.“
Das Projekt feiert bereits jetzt große Erfolge: Aufnahmen in die Grundversorgung, LGBTQ*-Wohngemeinschaften in Zusammenarbeit mit der Diakonie, Deutsch- und Schwimmkurse, und so weiter. Jedoch sei nicht nur diese Art von Unterstützung wichtig, meint Marty Huber.
„Wir merken, wenn sich Flüchtlinge in der Community aufgehoben fühlen und auch darüber sprechen können, warum sie geflohen sind, dann macht das für ihr Asylverfahren extrem viel aus.“
Innerhalb des sogenannten „Freiräumchens“, das jeden Donnerstagabend in der Villa stattfindet, werden Erfahrungen ausgetauscht, Freundschaften geschlossen und so manche Erkenntnis gewonnen. Ein „Safe Space“ für all jene, die sich und ihre Sexualität oder Identifikation in der Heimat verstecken mussten.
„Manche sagen: „Ich dachte, ich wäre der einzige Schwule aus Uganda!“
„Manche sagen: „Ich dachte, ich wäre der einzige Schwule aus Uganda! Dann trifft man sich hier und plötzlich gibt es auch noch Andere. Aber das Phänomen betrifft eigentlich viele. Es gibt genauso Österreicher_innen, die ich frage: „Und? Wie oft bist du heute schon um den Block gegangen, bevor du hergekommen bist?““
If I was here with him now, we would be in a relationship.
Anders erging es dem 18-jährigen Hassan, der vor neun Monaten aus seinem Heimatland, dem Libanon, fliehen musste. Ganz alleine fand er seinen Weg in die Queer Base, wie er sagt. Ohne seine Familie kam er als Minderjähriger nach Wien, um sich der Zwangsrekrutierung der libanesischen „Hisbollah“-Miliz zu entziehen und sich vor der Diskriminierung aufgrund seiner sexuellen Orientierung zu schützen. Er beschreibt höchst demütigende Beschimpfungen und körperliche Übergriffe auf offener Straße, die er in seiner Heimat über sich ergehen lassen musste. Doch erst als er von der unerfüllten Liebe zu einem gleichaltrigen Jungen spricht, überkommen ihn die Tränen: „You can’t imagine how hard it is, when you love a person and you can’t be with this person because of the pressure society puts on him and on you. If I was here with him now, we would be in a relationship.“
Eine Zeit lang schweigt er und vergräbt sein Gesicht in den Händen, dann fasst er sich und beginnt von seiner Zeit in Beirut zu erzählen, von seiner Familie und darüber, wie sich sein Leben geändert hat, jetzt wo er in Österreich ist. Sein Umfeld hat er nie etwas von seiner Sexualität wissen lassen. „I can never tell this to any person in my family. This is red light. I would prefer to die before facing my family with this. You know, the libanese people don’t have a description for „homosexuality“. They just say „fag“. They don’t know about boys who like boys. Or top boys and bottom boys. They don’t care about these details. For them it’s just hocus pocus.“
I wanted to push him away. But I don’t want to start a fight in the house. I don’t want to make any trouble.
Auch als er nach Österreich kam, erwähnte er zunächst nichts von seiner Homosexualität. Die libanesische Übersetzerin bei der Erstaufnahme hätte ihn verurteilt, meint er. Er wisse, dass dieser Fakt einen ernstzunehmenden Fluchtgrund darstellt und seinen Asylprozess daher wesentlich vereinfachen würde. Doch die Angst vor Ablehnung sitzt tief.
Schließlich wurde Hassan einem Flüchtlingsheim für unbegleitete Minderjährige in Wien zugeteilt. Er spricht nicht gerne von dieser Zeit. Die Hoffnung, seine Sexualität in der neuen Heimat offen ausleben zu können, zerschlug sich schnell, als er ein paar der anderen Bewohner* kennenlernte. Aus verächtlichen Bemerkungen über sein „feminines“ Äußeres wurden schnell bedrängende Angebote und schließlich sexuelle Belästigung.
„One boy asked me if I wanted to be his „paid gay“, another one said: „I have a big dick. Do you want to try it? This is how it started. That was not real sexual harrasment for me. That was normal. Nothing compared to what happened later. Later they tried to open the door while I was showering. Once I was washing my hands and a boy came up to me behind my back… I hate to describe what happened. That was not nice. I was about to go to the police. He hugged me from behind and started touching me. I hated it. When I went out of the bathroom he came really close to my mouth. I wanted to push him away. But I don’t want to start a fight in the house. I don’t want to make any trouble. I already am libanese and that’s why I can hardly be accepted in this country.“
„Another time one of them catched me and the other one was trying to give me a hickey. They were crossing the red line. At this moment I just had to shout. I was freaked out because I thought they were going to rape me. They were transfered out of the house because they did this to me.“
Sometimes I feel like I am not strong enough.
Vor kurzem ist Hassan in ein anderes Flüchtlingsheim übersiedelt. Trotzdem muss er sich jeden Tag aufs Neue vor sexueller Belästigung und Diskriminierung schützen. Er richtet seinen Appell an die österreichische Politik: Eigene Flüchtlingsheime für queere Flüchtlinge, rund um die Uhr Aufsicht und eine 24 Stunden Notfall-Hotline für die LGBTQ*-Community. Das hätte ihm den Start in Österreich wesentlich vereinfacht. Doch mit regelmäßiger psychologischer Betreuung und der Unterstützung der Queer Base, ist er gewillt, immer wieder neuen Mut zu fassen und sich dieser Welt zu stellen, die es Hassan und vielen anderen oft so schwer macht.
„Sometimes I fear saying that I am homosexual. Sometimes I fear the reactions. And sometimes I feel like I am not strong enough. But I think I am okay now. I am living. I survive. Maybe I am different from others. But life goes on.“
Sein größter Wunsch sei es, dass sein Asylverfahren so bald wie möglich abgeschlossen würde. Dann könne er seine Matura machen und Pilot werden, erklärt er mit strahlenden Augen.