26. Oktober 2016
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Zurück in die Zukunft

Österreich und die immerwährende Neutralität

Wie war das genau mit dem Staatsvertrag und wie schaut's heute mit unserer Unabhängigkeit aus? Ein Blick in den Rückspiegel und einer in die Zukunft.

Wir schreiben das Jahr 1955. Ein Mann mit Bart und Brille betritt den Balkon des Schloss Belvedere. In seiner Hand ein Vertrag, dessen Ausarbeitung seit zehn Jahren geht. Er tritt nach vorne an die Brüstung, hebt das Blatt Papier in die Luft und schreit den tausenden Menschen, die sich um das Schloss versammelt haben zu: „Österreich ist frei.“ Eine Geschichte, die wir sicher alle noch aus der Volksschule kennen. Die Rede ist von Leopold Figl, der im Mai 1955 als Außenminister verkündet, dass Österreich nach zehn Jahren Besatzung von nun an ein unabhängiger, souveräner und neutraler Staat sein wird. Seit damals ist Österreich tatsächlich unabhängig und souverän. Auch Diskussionen diesbezüglich kommen in diesem Land fast gar nicht vor. Doch wie steht es um die Neutralität Österreichs?

Wie war das nochmal mit dem Staatsvertrag?

Nach dem 2. Weltkrieg, der mehr als 55 Millionen Menschen das Leben kostet, ist Österreich besetzt von den Sieger_innenmächten des Kriegs – den Alliierten. Unter ihnen befinden sich die Sowjetunion, die USA, Frankreich und England. Gemeinsam teilen sie Österreich in unterschiedliche Zonen auf, die jeweils einem der vier Ländern unterstehen. Schon bald entsteht der Wunsch nach der erneuten Unabhängigkeit des Landes. So beginnen im Jahr 1949 die ersten Verhandlungen zwischen Österreich und den Sieger_innenmächten, um einen Abzug aus dem Land vorzubereiten. Bald wird klar, dass diese Verhandlungen viele Jahre brauchen werden. Schlussendlich brauchte es nur noch die Sowjetunion, die dem Vertrag zustimmen musste. Um zu verstehen, wie bedeutsam dieses kleine Stück Land für die große Macht UdSSR war, muss bedacht werden, dass Österreich direkt im Zentrum des Ost-West-Konflikts stand und es durchaus möglich war, dass auch Österreich wie Deutschland gespaltet werden würde, um aus dem östlichen Teil Österreichs eine sozialistische Republik zu machen. Die Bedingung der Sowjets für ein vereintes nicht-sozialistisches Österreich, wäre jedoch die immerwährende Neutralität des Landes, die aus „freien Stücken“ in zusätzlich zum Staatsvertrag Vertrag beschlossen werden soll. Die Formulierung war hierbei ausschlagend. Damals schlugen die Westmächte diese Formulierung vor, damit der Kreml Österreich später nicht sagen könnte, was diese Neutralität genau bedeutet und heute, dass die Politik die Neutralität Österreichs jederzeit aufheben könnte. Für manche österreichischen Politiker_innen war selbst diese Definition noch zu strikt. So hätte zum Beispiel Bruno Kreisky den Begriff „militärische Bündnisfreiheit“ bevorzugt.

Saufen bis zum Staatsvertrag?

Es gibt das Gerücht, dass die österreichischen Politiker und Gesandten in Russland die zuständigen Funktionär_innen der KPdSU durch ihre Trinkfestigkeit und Geselligkeit auf ihre Seite (und damit die Seite der „Neutralität“ und des ungeteilten Österreich) bringen konnten. Inwiefern diese Erzählung von der österreichischen Trinkfestigkeit stimmt, ist nicht belegt, passt jedoch ganz gut zur Atmosphäre eines Landes, in dem lange Zeit (und zum Teil heute noch immer) weiße Männer Politik in Wirtshaus-Hinterzimmern machen.

Jedenfalls erhoffte sich die KPdSU (die ja ab 1953 nicht mehr vom verstorbenen Stalin geführt wurde) außerdem, dass es der KPÖ gelänge, auch in Österreich parlamentarische Mehrheiten zu erlangen, um auf die Seite des Warschauer Paktes zu wechseln.

Diese Seite der Geschichte wird in der Volksschule eher nicht unterrichtet. Viel mehr, dass die immerwährende Neutralität ein Symbol der politischen Ausrichtung der 2. Republik Österreich sein sollte. Aber ist die Neutralität Österreichs doch vielleicht mehr eine politische Strategie gewesen als ein Identitätsmerkmal der neuen Republik?

Neutralität heute

Die Neutralität Österreichs nach Schweizer Prinzip verbietet dem Land im Kriegsfall Bündnisse einzugehen und im Allgemeinen Länder anzugreifen und Militärbasen aufzubauen. Einzig und alleine vor Angriffen im eigenen Land darf Österreich sich verteidigen.  Diese Definition steht schon lange im Konflikt mit dem solidarischen Miteinander der Europäischen Union (Darum, und wegen des Anschlussverbotes an Deutschland, konnte Österreich auch erst nach dem Zerfall der Sowjetunion der EU erst beitreten). Bei Problemen sollten sich die Länder hier solidarisch untereinander helfen, auch im Kriegsfall. Nur genau das verbietet uns die Bundesverfassung derzeit. Ein Konflikt also der auch immer wieder unter Politiker_innen aufkommt.  ÖVP-Kanzler Schüssler meinte 2001 bereits: „Die alten Schablonen – Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität – greifen in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr.“

Warum dann überhaupt neutral sein?

Dennoch trägt die Neutralität des Landes einen wichtigen Bestandteil zum Profil Österreichs bei. Die kleine Alpenrepublik, die lieber mit Worten statt mit Waffen diskutiert – die vielleicht nicht immer von der ganzen Welt ernstgenommen wird, aber dank verbotenem Beitritt in Bündnissen ausgenommen der EU, mit allen Ländern gut kann.  Auch wenn die Entstehung des Gedankens eines neutralen Österreichs nicht unglaublich poetisch war, würde ohne ihr doch sicher ein großes Stück der österreichischen Identität fehlen.

Leopold Figl präsentiert den Staatsvertrag. Foto: SN/APA
Leopold Figl präsentiert den Staatsvertrag.

Infobox

Am österreichischen Nationalfeiertag, dem 26. Oktober 1955, wurde das Neutralitätsgesetz im Nationalrat beschlossen. Seit 1967 ist dieser Tag auch arbeitsfrei.