Mit Bildung gegen Rechts?
Welche Bildung braucht es, um die Verbreitung rechtsextremer Ideologien zu verhindern?
Dass Antifaschist_innen nicht ausschließlich durch ‚normale‘ Bildungskarrieren ‚produziert‘ werden, scheint mittlerweile sehr offensichtlich. Doch wie können Jugendliche im Umgang mit diskriminierenden Ideologien geschult werden? Wiener Wissenschafter_innen haben sich damit in einem heuer erschienen Buch beschäftigt. Eine Rezension.
In Zeiten, in denen die FPÖ konstant die beste Partei in den Umfragen und vor allem bei jungen Menschen ist, die Identitäre Bewegung zu Fernsehshows eingeladen wird und sich ÖVP-Minister Sebastian Kurz immer mehr an sehr rechte Forderungen anpasst, wird oft die Frage nach der Bildung gestellt – oder viel mehr: wird das Thema Bildung wieder mal auf den politischen Teppich gebracht. Es brauche mehr Bildung, nur so könne Extremismus (hier werden alle Extremismen natürlich gleichgesetzt) verhindert werden.
Wie hältst du’s mit der Bildung?
Dass der Bildungsbegriff hier nicht mal klar definiert wird und vor allem von vielen falsch verstanden wird, soll an dieser Stelle nur Nebensache sein, also nur kurz dazu: die Beispiele John Gudenus, Andreas Mölzer oder Burschenschafter im Allgemeinen haben zwar lange formale Bildungskarrieren durchlaufen und sicher auch so manches gelernt, extrem rechts sind (oder waren) sie trotzdem.
Wir sehen also, dass der Ruf nach Bildung nicht der nach formaler Bildung sein kann. Vielmehr kann uns der Philosoph Theodor Adorno einen kleinen Wegweiser mitgeben, indem er in seinem Vortrag über die Erziehung nach Auschwitz sagt: „Erziehung wäre sinnvoll überhaupt nur als eine zu kritischer Selbstreflexion.“
Hier wollen wir also ansetzen und hier setzen auch mehrere Beiträge im Band Rechtsextremismus. Band 2: Prävention und politische Bildung an und thematisieren den Unterschied zwischen Vermittlung von Wissen und Prävention im Kontext „(politischer) Bildung“. Denn, so schreiben Elke Rajal und Heribert Schiedel, rechtsextreme Einstellungen sind keine Vorurteile, die durch Richtigstellung der Fakten einfach so wieder weggehen, vielmehr verhält es sich bei rechtsextremen Jugendlichen so, dass diese ihre Einstellungen als identitätsstiftend ansehen und jedwedes Infragestellen bzw. Problematisieren der Einstellungen durch andere (und besonders durch Erwachsene) ablehnen.
Das Problem beim Namen nennen
Leider basiert politische Bildung vor allem auf dem Prinzip des faktenbasierten Widerlegens von Vorurteilen und Ressentiments und den Mitteln der Abschreckung und des Schocks. Dass dies aus reiner Naivität und schlechter Ausbildung der Lehrenden geschieht, kann nur bedingt geltend gemacht werden, und ist eher ein gewünschtes Ergebnis des Systems. Oder um den Philosophen Roger Behrens zu zitieren: „Überdies wird dieses ‚Wissen‘ über eine curriculare Verregelung der Lehrpläne operationalisierbar, das heißt abfragbar, benotungsfähig […]. Und im Sinne des operationalisierten Lernens ist freilich das ‚Wissen‘ auch wieder verlernbar und darf ruhig auch vergessen werden.“
Wir sehen also, das System – und wir nennen es hier beim Namen: Bildung im Kapitalismus – verhindert per definitionem schon eine echte und sinnvolle Reflexions- und dadurch Präventionsarbeit. Wir werden uns im Folgenden weiteren Problemen dieser Natur widmen.
Bernhard Weidinger und Stefanie Mayer beschäftigen sich in ihrem Beitrag „Pädagogik gegen Rechts: ein Kampf gegen Windmühlen?“ in bereits erwähnten Band mit den grundsätzlichen Widersprüchen zwischen antifaschistischer Bildungsarbeit und Grundsätzen kapitalistischer Erziehung.
So beschreiben die Wissenschafter_innen die dem aktuellen Bildungssystem inhärente Konkurrenz, die „vom Ranking von Universitäten und einzelnen Wissenschafter_innen über die Praxis der Leistungsbeurteilung an Schulen, die Einteilung in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Schüler_innen, bis hin zur – in ihren Konsequenzen besonders tiefgreifenden – Selektion am Übertritt in Hauptschule/Neue Mittelschule oder Gymnasium“ das Bildungssystem prägt wie kaum ein anderes Prinzip.
Weiters wird analysiert, dass den meisten Westeuropäer_innen suggeriert wird, sich im globalen Mittelfeld zu befinden. Es kann also jede_r durch harte Arbeit, gute Noten, etc. einen gesellschaftlichen Aufstieg schaffen. Für die meisten Menschen steht jedoch Anderes im Vordergrund: harte Arbeit, um den Abstieg zu vermeiden. Die Angst, dass es den eigenen Kindern
schlechter gehen wird, ist sehr weit verbreitet.
Projektion und Versagen
Durch diese Abstiegsangst und der Hegemonie der Konkurrenzlogik werden Schüler_innen oder Jugendliche generell anschlussfähig für Ideologien, die andere Ungleichheiten als ökonomische ebenfalls als natürlich und normal ansehen, also zum Beispiel Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus, so schreiben Weidinger und Mayer.
Außerdem kann durch Zuschreibung von unerwünschten Vorgängen zu einem konkretisierten *Anderen* das eigene Versagen externalisiert werden. Wir sehen das konkret an den häufigen Beispielen Quotendebatte („Frauen werden bevorzugt“), „Ausländer nehmen die Jobs weg“ oder „der geheime Plan der Eliten…”. Durch diese Rationalisierungen wird laut Weidinger/Mayer vermieden, dass die Notwendigkeit des Versagens überhaupt nicht thematisiert wird – gäbe es die erwähnten Gruppen nicht, wäre das Versagen der eigenen Gruppe verhindert.
Außerdem schränkt der soeben beschriebene Vorgang die eingangs erwähnte Fähigkeit zur Selbstreflexion enorm ein. Durch das ‚nach unten schauen‘, wird nicht über die eigene Privilegierung nachgedacht, es wird eher darauf geachtet, dass der ‚Abstand‘ gleich bleibt und nach oben verkürzt wird.
Anerkennung und Einschränkung
Weidinger/Mayer und Schiedel/Raja verfolgen in dem bereits besprochenen Aufsatz vor allem den Ansatz der Selbstreflexion und der Anerkennung. Einerseits muss es Schüler_innen, also Kindern und Jugendlichen zugetraut werden, dass sie durch Reflexion an den Punkt gelangen, wo sie ihr Versagen nicht mehr auf ein verhinderndes Anderes projizieren, sondern sich eingestehen, dass im aktuellen System das Versagen vorprogrammiert ist. Andererseits muss den Schüler_innen jene Anerkennung zugute kommen, die ihnen im Alltag verwehrt bleibt.
Diese Reflexion und Anerkennung wird wiederum von den Institutionen und den in ihr handelnden Personen selbst erschwert, da Kinder und Jugendliche oft die unterdrückten und eben nicht selbstbestimmten Akteur_innen innerhalb des Bildungssystems sind. Die Lehrpersonen geben ganz undemokratisch die Marschrichtung vor und selbst diese Richtung ist bereits zu großen Teilen von den Logiken der Märkte definiert. Daher ist es nicht wichtig, dass alle alles lernen, sondern einzusortieren, wer in einer gewissen Zeit, wie viel wie gut lernen kann.
Empfehlung für die Bildungspolitik
In diesem Umfeld ist also ein emanzipatorischer und (selbst-)reflexiver Ansatz nur schwer und sehr begrenzt umzusetzen. Die Lektüre des Bandes der Forschungsgruppe Ungleichheiten wäre allen bildungspolitischen Akteur_innen zu empfehlen.
Wenn Jugendliche erkennen würden, dass unser jetziges System notwendigerweise einen Abstand zwischen ‚oben‘ und ‚unten‘ produziert und nicht das eigene Versagen oder andere ‚geheime Mächte‘ daran Schuld haben, so wären sie besser gewappnet im Umgang mit Ideologien der Ungerechtigkeit.