14. September 2016
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Ein berüchtigtes Stück Papier, das Langeweile aufzwingt

Schüler_innen haben wenig Mitbestimmungsmöglichkeiten und kennen diese meist wenig. Ein Kommentar zu einer manchmal unterschätzten Problematik des österreichischen Bildungssystems.

„Was willst du? Und das steht da wirklich drinnen, sagst du?“, so hat meine Biologie-Lehrerin reagiert, als ich sie irgendwann in der siebten Klasse darauf angesprochen habe, dass wir Schüler_innen das Recht haben, einen Teil des Lehrplans selbst mitzubestimmen. Meine Mitschüler_innen und ich hatten einfach genug von der ewig gleichen Zellenlehre, vom Auswendiglernen des DNA-Vorganges und anderen, trockenen Theorie-Einheiten. Wir hatten sogar konkrete Themenwünsche, die jedoch immer auf Ignoranz und Nichtbeachtung stießen.

„Das steht leider so im Lehrplan“

So oder so ähnlich geht es den meisten der 1,1 Millionen Schüler_innen in Österreich – fast alle von ihnen sind eigentlich lernwillig, viele gehen mehrere Jahre über die gesetzlich festgeschriebene Schulpflicht hinaus in die Gymnasien, HTL und Berufsschulen dieses Landes, um Neues zu lernen, andere Sichtweisen zu betrachten und um sich ein, zwei Dinge fürs Leben mitzunehmen, wie es oft so naiv heißt. Doch die harte Realität der Schule lässt diesen Wissensdurst schon im Ansatz ersticken. Die Themen, die die Schüler_innen oft bis zum sprichwörtlichen Umfallen lernen und in ihr Kurzzeitgedächtnis hämmern müssen, werden ihnen von einem nicht greifbaren Lehrplan vorgegeben. Nicht greifbar ist dieser deshalb, weil die Schüler_innen dieses berüchtigte Stück Papier nie zu Gesicht bekommen und immer nur als Ausrede dient – „Wir müssen jetzt dieses Thema behandeln und nicht auf aktuelle Entwicklungen eingehen, das steht leider so im Lehrplan.“

Die Schublade mit den immer gleichen Themen

Dass meine Biologie-Lehrerin sich damals überzeugen lassen konnte und uns zumindest ein paar Stunden gab, in denen wir selber gewählte Themen besprachen, war zwar für meine Klasse ein kleiner Erfolg, aber im Großen und Ganzen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. In den anderen Fächern blieb unser Wille, Dinge zu lernen, die uns auch wirklich interessieren, meist einfach ein Wunsch und so verblieben wir in der für alle ungünstigen Situation, dass die Lehrpersonen nicht zufrieden waren, weil wir uns nicht anstrengten und wir strengten uns nicht an, weil die Person vorne an der Tafel immer wieder die gleichen, nicht ganz so spannenden Themen aus ihrer Schublade holte.

Doch das Problem sind ja nicht mal (ausnahmslos) die Lehrer_innen. Das Problem liegt in unserem Bildungssystem. Denn selbst wenn gleich zu Beginn, also in einem der ersten Absätze der Lehrpläne steht:

Es ist bewusst zu machen, dass gesellschaftliche Phänomene historisch bedingt und von Menschen geschaffen sind und dass es möglich und sinnvoll ist, auf gesellschaftliche Entwicklungen konstruktiv Einfluss zu nehmen. Aufgaben und Arbeitsweisen von gesellschaftlichen Institutionen und Interessengruppen sind zu vermitteln und mögliche Lösungen für Interessenskonflikte zu erarbeiten und abzuwägen. [1]

So vermittelt uns das System nie und nimmer den Eindruck, dass wir in irgendeiner Weise eben jenen konstruktiven Einfluss auf unsere Lerninhalte ausüben können, den wir dann also später im „echten Leben“ erkennen sollen, um selbstständig für Veränderungen zu sorgen.

Ein System, das frustriert

Ein weiteres Indiz dafür, dass nicht die Lehrpersonen per se Schuld an der fehlenden Mitbestimmung im alltäglichen Unterricht haben, sind die positiven Beispiele von engagierten, meist (aber nicht ausschließlich) jungen Lehrerenden, die sich neue Konzepte zusammenschreiben, die versuchen, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in den Unterricht zu integrieren und die alles dafür geben, jede Stunde anders, neu und aufregend zu gestalten.

Dass sich also meist die jungen, sich frisch im System befindenden Lehrerinnen* und Lehrer* am engagiertesten zeigen, bedeutet wohl vor allem, dass unser Bildungssystem mit all seinen Fehlern und Problemen auch für die zweitwichtigsten Schulbesucher_innen mühsam, anstrengend und kreativitätsvernichtend ist.

Wir können also feststellen: Nicht die Schüler_innen, (meistens) auch nicht die Lehrer_innen sind an der fehlenden Mitbestimmung den Lehrplan betreffend schuld, sondern ein System, das Innovation, Kreativität und Engagement nicht fördert, sondern bedroht und sanktioniert. Es braucht Gesetze und Verordnungen, die ein gleichberechtigtes Miteinander von Politik, Schüler_innen und Lehrpersonen unterstützt, um sicherzustellen, dass auch die Inhalte unterrichtet werden, für die sich jene, die in den Klassenzimmern sitzen und an der Tafel stehen, auch wirklich interessieren.


[1] Diesen Absatz findest du hier unter Bildungsbereich Mensch und Gesellschaft.

Schule – alles grau in grau? Foto: http://bit.ly/2cZESJb
Schule – alles grau in grau?