Viel Aufregung, wenig Analyse
Auch der zweite Durchgang der Zentralmatura hat wieder für viel Aufregung gesorgt. Doch wie sind die Prüfungen eigentlich ausgefallen und welche Schlüsse können aus ihnen gezogen werden? Sind teilzentrale Prüfungen wirklich die Lösung oder gibt es doch grundlegendere Probleme? Diese und andere Aspekte wollen wir analysieren.
Am 27. Juni wurden die Ergebnisse der (teil-)zentralen und standardisierten neuen Reifeprüfung veröffentlicht. Nachdem viele Schüler_innen durch die Kompensationsprüfungen doch noch zu positiven Ergebnissen gekommen sind, sind vor allem die Ergebnisse der Mathematik-Matura nicht mehr so drastisch schlecht, wie die anfängliche öffentliche Empörung vermuten ließ.
Kompensationsprüfung wirkt
Während die eigentliche, schriftliche Prüfung „nur“ von 78% der Schüler_innen geschafft wurde, konnte ein Großteil der negativen Noten durch die mündliche Kompensationsprüfung eine Woche später wieder ausgebessert werden. Somit müssen nur 7% der Maturant_innen beim zweiten Termin noch einmal antreten.
Doch gerade der Rettungsring Kompensationsprüfung wird von vermeintlichen Expert_innen kritisiert. Der Mathemtikdidaktiker und Mit-Erfinder der Zentralmatura Werner Peschek sagt zum Beispiel im Standard, die mündliche Kompensation sei „kontraproduktiv“, sie mache „zentrale Intentionen der Zentralmatura zunichte. Eine zweite Chance für Schüler_innen befürworte er zwar, dies müsse jedoch ebenfalls schriftlich und mit zentralen Fragestellungen geschehen. Dass manche Schüler_innen besser mit mündlichen Prüfungssituationen umgehen können und vielleicht gar nicht die Art, sondern unterschiedliche Beurteilungen und Aufgaben zu den großen Unterschieden in den Ergebnissen der Kompensationsprüfungen (in Kärnten/Koroška haben diese zum Beispiel mehr als 80% bestanden, während in Salzburg fast die Hälfte der Prüflinge wieder negativ benotet wurde). Dazu kommt, und dies kritisiert auch Peschek, dass bei der eigentlichen Matura, sowie bei der Kompensationsprüfung immer die jeweilige Lehrperson auch die Prüfung korrigiert.
Es müsste so sein wie in anderen Ländern, die zentrale Prüfungen durchführen – es braucht externe Personen, die ausschließlich die Prüfungen korrigieren und die die Schüler_innen nicht kennen. Dies würde sowohl bei der eigentlichen schriftlichen, als auch bei der Kompensationsprüfung für mehr Objektivität und Vergleichbarkeit sorgen.
Probleme in der Gender-Statistik
Ein weiteres, gravierendes Problem, das die Ergebnisse der Matura nachweisen können, ist der große Unterschied zwischen den Noten der Schüler* und jenen der Schülerinnen*. So schafften mehr als zehn Prozent der Schüler* die beste Note in der Mathematik-Matura, während nur sechs von 100 Schülerinnen* ebenfalls einen Einser bekamen. Im anderen Pflichtfach Deutsch sieht die Situation genau umgekehrt aus und Mädchen* schnitten um einiges besser ab als ihre Kollegen*. Durch Pisa-Studien und andere, auf den Gender Gap in der Bildung eingehenden Standardtests, ist zahlreich belegt, dass das österreichische Bildungssystem eben nicht gleichberechtigt funktioniert. Es wird hier natürlich niemandem Absicht unterstellt, doch eine progressive Bildungspolitik muss auf diese ungleichen Ergebnisse Rücksicht nehmen und darauf achten, dass Schülerinnen* vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern gefördert werden.
Zentral, teilzentral, egal?
Nach der, verglichen mit dem ersten Jahrgang, um einiges schwierigeren Mathe-Matura kam erneute Kritik am Grundstock der neuen Reifeprüfung auf: ihren zentral vorgegebenen Aufgabenstellungen. So wird argumentiert, dass nur noch ein Grundpool an Aufgaben vom Bildungsministerium bereit gestellt und dafür speziellere Aufgaben wieder von den Lehrer_innen der jeweiligen Schulen verfasst werden sollen.
Dies hieße jedoch, dass die Objektivität, Fairness und Vergleichbarkeit der Matura, die vor allem für Universitäten wichtig sind, wieder zurückgestutzt und auf ein Minimum reduziert würden. Außerdem kann durch diese Maßnahme nicht sichergestellt werden, dass Schüler_innen nicht der Spielball der Prüfenden bleiben. Es hat sicher bereits vor den zentralisierten Prüfungen große Unterschiede zwischen den Matura-Jahrgängen gegeben, nur konnte es keinen großen, öffentlichen Aufschrei geben, wenn diese Ungerechtigkeiten nur einzelne Klassen oder Jahrgänge betraf. Mit zentralisierten Prüfungen ist zumindest hier ein Schritt in Richtung Transparenz und Nachvollziehbarkeit getan.
Bleibt die Frage nach den großen Unterschieden innerhalb der Schultypen im Allgemeinen und der Schulen im Speziellen. Das Ministerium veröffentlichte nur die Ergebnisse der verschiedenen Bundesländer, die wohl zu vernachlässigen sind, da es im Vorfeld der Bekanntmachung bereits viele Berichte von Schüler_innen und Lehrer_innen gab, die besagten, dass man weit davon entfernt war, gleiche Bedingungen an allen Schulen zu haben. Wir können also davon ausgehen, dass die genaueren Ergebnisse viel interessanter wären als der Vergleich von zum Beispiel den Englisch Ergebnissen von Oberösterreich und Tirol. Doch die zuständigen Behörden wollen keinen Wettbewerb zwischen Schulen oder Regionen entstehen lassen, versichern aber, dass mit „schlechten“ Schulen spezielle Fortbildungsprogramme und Schulungen durchgeführt werden sollen. Auch dieses Eingehen auf individuelle Defizite in der Lehre kann ein guter Schritt sein.
Die richtige Matura im falschen System?
Doch selbst, wenn es neben viel Kritik auch Positives zu vermelden gibt – das mit der neuen Matura scheint dann doch nicht ganz so gut anzukommen. Denn selbst wenn auf alles eingegangen werden würde, was von Seiten der Schüler_innen, Expert_innen und Lehrpersonenvertretungen an Kritik kommt, eine Abschlussprüfung, die das Dasein der achten Klasse quasi ad absurdum führt, kann niemals vollkommen zentral, gerecht, transparent, individuell oder vergleichbar sein.
Es ist also vielleicht doch an der Zeit, das System des Schulabschlusses zu überdenken: ein zentraler Lehrplan für die Abschlussklassen, individueller Stoff, der zum Teil von den Schüler_innen geplant wird, ein Abschlussprojekt, an dem die Maturant_innen beweisen, dass sie ihre Fähigkeiten und ihr Wissen kreativ und teamfähig anwenden können – wäre das nicht vielleicht doch sinnvoller als teilzentrales, zentrales, egales Auswendiglernen von Mathe-Aufgaben?