„Ich habe nicht bedacht, dass Putin perfekt deutsch versteht“
Interview mit Bundespräsident Dr. Heinz Fischer
Bis 8. Juli ist Dr. Heinz Fischer noch Bundespräsident der Republik Österreich. Wir sprachen mit ihm über beeindruckende Erlebnisse, die Rolle seines Amtes und die Zeit nach dem Leben als Bundespräsident.
12 Jahre sind Sie nun Bundespräsident. Was würden Sie als das beeindruckendste Erlebnis bezeichnen und was war die schwierigste Entscheidung, die Sie zu treffen hatten?
Das eindrucksvollste Erlebnis war für mich jener Augenblick, wo ich vor der Bundesversammlung im Parlament meinen Eid auf die Verfassung abgelegt und damit das Amt des Bundespräsidenten angetreten habe. In diesem Augenblick ist mir bewusst geworden, dass Österreich 8,5 Mio. Einwohner_innen hat, aber nur ein Einziger davon das Amt des Bundespräsidenten ausübt. Also jenes Amt, von dem die Verfassung sagt, dass der Bundespräsident die Republik nach außen vertritt, wobei aber auch im Inland ohne Unterschrift des Bundespräsidenten kein_e Minister_in bestellt werden kann, kein Staatsvertrag abgeschlossen werden kann, kein_e Botschafter_in ernannt werden kann, etc.
Die schwierigste Entscheidung war hingegen wahrscheinlich der Entschluss, als Bundespräsident zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik dem Nationalrat mitzuteilen, dass ein Gesetz nicht verfassungsmäßig zustande gekommen ist und dass ich mich daher entschlossen habe, das Gesetz zur Korrektur an den Nationalrat zurückzusenden.
Können Sie von lustigen Anekdoten bei Treffen mit anderen Staatsoberhäuptern berichten?
Es gibt glücklicherweise immer auch lustige Situationen im Leben eines Bundespräsidenten. Bei einem Abendessen mit Präsident Putin bin ich zum Beispiel im letzten Augenblick, als wir schon bei Tisch gesessen sind, drauf gekommen, dass ich das falsche Manuskript für die Tischrede in der Hand hatte. Ich habe mich an eine Mitarbeiterin gewandt und ihr gesagt: „Du, ich habe ein falsches Manuskript, bring mir bitte gleich das Richtige.“ Ich habe nicht bedacht, dass Putin perfekt deutsch versteht und er beugte sich zu mir rüber und sagte: „Herr Präsident, haben sie etwa das falsche Manuskript?“ Ich antworte: „Ja, und das ist mir sehr peinlich.“ Darauf sagte er: „Machen Sie sich nichts daraus, das ist dem Leonid Breschnew auch schon passiert“ – macht dann eine kleine Pause und fügt hinzu – „aber der Breschnew hat es nicht gemerkt und beinhart die falsche Rede verlesen.“
Eine der Hauptaufgaben des_der Bundespräsident_in ist ja die Ernennung der Regierung. In Österreich wird es immer schwieriger, Mehrheiten für eine Regierungszusammensetzung zu finden. In anderen Ländern wie beispielsweise Schweden sind aber auch Regierungen nicht unüblich, in denen die Regierungsparteien keine Mandatsmehrheiten im Parlament haben. Könnten Sie sich so etwas auch in Österreich vorstellen und hätten Sie so eine Regierung unter gewissen Umständen auch angelobt?
Normalerweise soll eine Regierung natürlich im Parlament eine Mehrheit haben. Aber genauso wichtig ist, ob man annehmen kann, dass die Regierung stabil ist. „Mehrheit“ und „Stabilität“ sind nicht automatisch identisch. In Skandinavien ist es durchaus üblich, einer Minderheitsregierung unter Führung der stärksten Partei Stabilität zuzusichern und sie nicht zu stürzen. Umgekehrt können Mehrheiten auch sehr „wackelige“ Mehrheiten sein, die von einem Tag auf den anderen Tag verloren gehen können. Auch Kreisky hat im Jahr 1970 eine Minderheitsregierung gebildet, die in Wahrheit aber eine stabile Mehrheit hatte, weil eine Oppositionspartei zugesagt hatte, die Regierung zu „tolerieren“. Aus diesem Grund sollte man – unter entsprechenden Voraussetzungen – die Bildung einer Minderheitsregierung nicht grundsätzlich ausschließen, obwohl es natürlich besser ist, wenn die Regierung eine stabile Mehrheit hat.
Als Bundespräsident sind Sie der Repräsentant Österreichs nach außen. Wir erleben gerade eine Re-Nationalisierung, auch was das Vertrauen der Menschen in die Institution Europäische Union angeht. Was muss passieren, damit die EU wieder glaubhaft wird und wie kann sie zu einer sozialen und demokratischen Staatengemeinschaft werden?
Die Europäische Union ist aus einer Reihe von Gründen derzeit in einer viel schwierigeren Situation als zum Beispiel vor fünfzehn Jahren. Sie ist z.B. zu unpopulären Maßnahmen gezwungen, die von einer Reihe von Staaten nicht oder nicht zur Gänze mitgetragen werden. Davon profitieren nationalistische, populistische oder europafeindliche Bewegungen. Um die EU wieder zu stärken und das Konzept eines geeinten Europa attraktiver zu machen, ist eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage notwendig, eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit, eine Verringerung des sozialen Gefälles in Europa und eine Stärkung der europäischen Solidarität.
Sie waren von 1971 bis 2004 mit kurzen Unterbrechungen im Nationalrat, zuerst als Abgeordneter, später als erster und zweiter Nationalratspräsident. Seit dieser Zeit wurden große bildungspolitische Maßnahmen getroffen. Als Blog einer Schüler_innenorganisation interessiert uns: Was waren Ihrer Meinung nach die wichtigsten Umbrüche in dieser Zeit und was hätte aus Ihrer Sicht noch passieren müssen?
Für mich ist die Ära Kreisky (von 1967 bis 1983), die etwas länger dauerte als seine Regierungszeit als Bundeskanzler (die erst 1970 begann), eine große Reformepoche, in der in sehr vielen Bereichen unserer Gesellschaft Reformen und Modernisierungen durchgeführt wurden. Grundlagen der Bildungsreform waren einerseits das Schulkonzept und andererseits das Hochschulkonzept der SPÖ, deren Ziel es war, Bildungsbarrieren abzubauen. Das geschah durch die Abschaffung von Schulgeld und Aufnahmeprüfungen, durch Schüler_innenfreifahrten, kostenlose Schulbücher, durch die Modernisierung der Schulen, durch bessere Lehrer_innenausbildung, durch die Universitätsreform, durch zusätzliche Studienplätze, durch die Abschaffung der Studiengebühren, durch die Einrichtung neuer Studienfächer und neuer Institute, etc. Diesen Prozess hätte man konsequent weiterführen sollen, aber in den 90er-Jahren wurde der Spielraum für Reformen in der Koalition immer kleiner, und in der Regierungszeit der ÖVP/FPÖ-Koalition wurden manche Reformen sogar rückgängig gemacht. Jetzt müssen wir wieder einen neuen Anlauf nehmen.
Viele finden, der_die Bundespräsident_in spielt keine wirkliche Rolle in der Realpolitik. Mit welchem Beispiel aus Ihrer Amtszeit würden Sie das widerlegen wollen?
Alle, die sich die Bestimmungen der Bundes-Verfassung über die Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten durchlesen, werden erkennen, dass der Bundespräsident eine einflussreiche und wichtige Funktion hat. Die Befugnisse des Bundespräsidenten reichen sogar für gravierende und radikale Eingriffe in das politische Geschehen aus. Aber ein Bundespräsident, der seinem Land dienen will, wird es nicht darauf anlegen, einmal im Monat zu zeigen wie „mächtig“ er ist oder sich mutwillig auf Kraftproben mit der Regierung, dem Parlament oder anderen Institutionen einlassen, sondern er wird – ganz im Gegenteil – bemüht sein, das reibungslose Zusammenwirken der verschiedenen Staatsorgane zu unterstützen. Der Bundespräsident soll nicht Teil der Probleme der Politik sein, sondern ganz im Gegenteil mithelfen, dass Probleme erst gar nicht entstehen und je diskreter, lautloser und reibungsloser dies geschieht, umso besser erfüllt er seine Aufgaben.
Ab 8. Juli gibt es mit Alexander Van der Bellen einen neuen Bundespräsidenten. Was werden Sie mit der neu dazugewonnen Zeit anfangen?
Am 8. Juli 2016 werde ich eine lange Periode abschließen, die sich aus einer zwölfjährigen Tätigkeit als Bundespräsident, einer zwölfjährigen Tätigkeit als Nationalratspräsident, einer zwölfjährigen Tätigkeit als Klubobmann, einer zwölfjährigen Tätigkeit als Klubsekretär und einer vierjährigen Tätigkeit als Minister zusammengesetzt hat. Ich werde mir etwas mehr Freizeit gönnen, aber mich weiterhin mit Politik, mit Zeitgeschichte, mit Erwachsenenbildung, mit internationalen Kontakten, mit Kunst und Kultur und mit Büchern beschäftigen. Und ich werde vor allem auch mehr Zeit für meine Familie haben.