2. November 2015
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Viva Punk ein Leben lang – aber nur als Mann!

Die Geschichte des Punk befindet sich beinahe zur Gänze in männlichen Händen. Allerdings bedeutet Punk zu sein, gegen Normen der Gesellschaft zu rebellieren und deshalb wurde diese Szene als Grundlage für die größte weibliche Bewegung in der Musik verwendet: Die Riot Grrrls.

Punk, die Jugendkultur schlechthin, die viele politische Statements gesetzt hat, ist vor allem eins: patriarchal strukturiert.
Betrachtet man die Hauptakteure in der frühen Punkbewegung sieht man vor allem eines: wütende, junge, weiße, heterosexuelle Männer.

Zumindest erwartet eine_n dieses Bild, wenn man „Punk“ auf Google sucht.
Malcom McLaren, die Sex Pistols, The Clash.
Für eine so progressive, vielfältige Jugendbewegung ergibt dies ein sehr homogenes Gesamtbild.
Durch kuriosen Kleidungsstil, aggressive Musik und rebellische Attitüde wurden im Punk viele Normen gebrochen – um nicht zu sagen in ihre Kleinteile zerhackt – eine blieb jedoch bestehen: die Vorherrschaft des Mannes.
Tatsächlich waren aber einige Frauen* Standbeine der aufkommenden Punkszene. Allerdings sind ihre Namen – genauso wie die von ihnen produzierten Platten – längst verstaubt und werden nicht als Sammler_innenstücke gehandelt.

Siouxsie Sioux und Vivienne Westwood

Zwei Frauen prägten den Punk von seiner Geburtsstunde bis zu seinem letzten Aufbäumen im Sterbebett. Die eine als Musikerin und die andere als Stilikone.

Siouxie Sioux – geboren als Susan Janet Ballion – begann mit achtzehn Jahren für die Band „The Bromley Contingent“ zu singen. Später gründete sie als Sängerin und Songwriterin die Band „Siouxie and the Banshees“ bei der auch der Bassist der Sex Pistols Sid Vicious spielte. Die beiden Bands traten häufig gemeinsam bei Konzerten und auch in diversen Fernsehshows auf. War Siouxie in ihren frühen Jahren noch treuer Fan der Sex Pistols, war sie ihnen musikalisch bald ebenbürtig.
Neben ihrer konstanten Hochleistungen in der Musikbranche war Siouxie Sioux vor allem für ihr provozierendes und kontroverses Verhalten bekannt. Sie trug Hackenkreuzarmbinden während sie auf der Bühne stand und Anti-Nazi-Parolen brüllte, sie war der Grund warum die Sex Pistols ihren ersten Plattenvertrag verloren und sie war die Musikerin, die dem Punk am längsten treu blieb.
Trotzdem ist ihr Name in der heutigen Zeit kaum noch bekannt und ihre Musik wird in der Geschichte des Punks kaum erwähnt.

Siouxie Sioux

Siouxie Sioux

Als Siouxie am Anfang ihrer Karriere stand und gerade ihre Teenagerjahre hinter sich ließ, stand Vivienne Westwood bereits mitten im Leben. Sie hatte zwei Kinder, war Lehrerin und bereits zum zweiten Mal verheiratet. Ihr zweiter Ehemann Malcom McLaren war der Manager der Sex Pistols. Doch dies hatte er nur seiner Frau zu verdanken.

„Punk war für mich eine reine Fingerübung. Ich wollte herausfinden, inwieweit man die Verhältnisse verändern kann, indem man das System attakiert“ – Vivienne Westwood

Vivienne hatte schon früh mit dem Gedanken gespielt in die Modebranche einzusteigen, hatte ihn jedoch wieder verworfen, da sie als Tochter einer Arbeiter_innenfamilie nicht die Möglichkeit hatte zu studieren und sobald wie möglich Geld verdienen musste.
Doch gemeinsam mit Malcom McLaren erfüllte sie sich ihren Traum und gründete eine Modeboutique. Nach einem Location- und Namenswechsel wurde das „Sex“ das Zentrum der aufkommenden Punkszene. Eigentlich war es ein Laden für Dessous und S&M – Mode, die allerdings von den Punker_innen als provozierende Straßenmode getragen wurde. Vivienne Westwood prägten sowohl das Aussehen als auch die Haltung der Punkszene durch ihre radikale Einstellung. Noch heute hat sie den Beititel „Queen of Punk“, von dem sie sich selbst jedoch mittlerweile distanziert.

Vivienne Westwood

Vivienne Westwood

Knurren gegen das Patriarchat!

Siouxie Sioux und Vivienne Westwood war es in den 1970/80 Jahren noch egal, eine Minderheit in der Szene zu repräsentieren.
Allerdings war es den Frauen* 10 Jahre später nicht mehr genug, nur ein kleines Stück vom Kuchen der Musikindustrie zu bekommen. Vor allem weil der Preis dafür zu hoch war, denn sie mussten sich sexistische Sprüche und grenzüberschreitendes Benehmen gefallen lassen und wurden von niemandem ernstgenommen.
Deshalb traf sich eine Gruppe junger Frauen im Jahre 1991 in Olympia, Washington um zu diskutieren, wie gegen den Sexismus in der Punkszene vorgegangen werden kann. Inspiriert von den damaligen Aufständen im antirassistischen Bereich wollten sie einen Frauen*aufstand – einen girl riot – entfachen. Der Name „Riot Grrrls“ wurde geboren. Hierbei wurde das Wort „girl“ ganz bewusst gewählt, um auf die Kindheit zu fokussieren, auf die Zeit in der Frauen* das stärkste Selbstbewusstsein haben, an sich selbst glauben und den Zwängen und Normen der Gesellschaft noch nicht gänzlich unterworfen sind. Die drei r’s repräsentieren den Zorn und die Wut hinter der Bewegung, sie symbolisieren ein Knurren. Denn die Riot Grrls knurren.
Sie knurren gegen den Sexismus. Sie knurren gegen die Vormacht des Mannes. Sie knurren gegen ihre Unterdrückung und sie knurren gegen das Patriarchat.

Von Olympia aus okkupierten schließlich rotzige Mädchenbands die Bühnen. Sie wollten nicht in das Männerbusiness einsteigen, sie wollten es selbst in die Hand nehmen. Sie wollten selbst produzieren und ihre eigenen Maßstäbe setzen. Sich von jemandem etwas vorschreiben zu lassen kam für die Riot Grrrls nicht in Frage.

Revolution Girl Style Now!

Den größten Einfluss auf die neue Bewegung nahmen die selbstproduzierten, kleinaufgelegten Magazine der Sängerin und Songwriterin Kathleen Hanna. Aus ihrer Feder stammt sowohl der Name „Riot Grrrls“, als auch der Leitspruch der Bewegung „Revolution Girl Style Now“.
Kathleen Hanna war die Gallionsfigur der Bewegung und orientierte sich in ihrer Haltung stark am Postfeminismus. In einem Interview erklärte sie, dass Feminismus für sie die Beendigung der Unterdrückung aller Menschen darstellt und nicht nur der von weißen Frauen, die die Karriereleiter hochklettern wollen.

„Uns wird gelernt, dass wir nur durch Männer etwas erreichen können. Aber das ist eine Lüge.“ – Kathleen Hanna

Sie lieferte nicht nur mit schriftstellerischem und künstlerischem Talent eine Grundlage für die Riot Grrrls, sondern war auch Mitglied einer der ersten Bands, die dieser Bewegung angehörten. Die Band Bikini Kill wurde von berühmten Künstler_innen wie Nirvana und Joan Jett sowohl musikalisch als auch politisch unterstützt. Und sie erreichten unter den Riot Grrrls der 90er Jahre den höchsten Bekanntheitsgrad.
Die Songs der Riot-Grrrl-Bands waren extrem persönlich und beschäftigten sich mit Themen wie Vergewaltigung, Inzest und Essstörungen. Die Lieder sollten bewirken, dass Frauen* die sie hörten, realisierten, dass ihre individuellen Probleme in eine größere, politische Bewegung hineinpassen und sie damit nicht alleine sind.
Vor allem Kathleen Hanna thematisiert nicht nur die reine Diskriminierung der Frau sondern beschäftigt sich mit Intersektionalität – der Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen – und damit auch mit Rassismus und Homophobie. Zudem kritisiert sie häufig das soziale Konstrukt der perfekten Frau.

Kathleen Hanna

Kathleen Hanna

Kein Zugang zum Mainstream

Die Riot Grrrls wollten möglichst viele Frauen* für ihre Bewegung mobilisieren, jedoch mussten sie dazu auf die Mainstream-Medien zurückgreifen, da die Untergrundmagazine eine zu geringe Reichweite hatten. Allerdings reagierten die Journalist_innen geschockt und schrieben negative, herablassende Artikel über die wütenden Frauen*. Bikini Kill distanzierte sich davon, Interviews zu geben, da sie in ihrer Kariere so oft missverstanden und ihre Aussagen aus dem Kontext gerissen wurden. Die Medien währten sich mit allen Mitteln gegen den Erfolg starker Frauen*. Die Mitglieder von Bikini Kill wurden heimlich fotografiert, als sie im Bikini am Strand lagen, und die Fotos wurden in diversen Zeitungen und Zeitschriften gedruckt. Dies war ein verzweifelter Versuch wieder zurück zur Darstellung der Frau* als Objekt zu finden, an die sich die Musikszene schon so gewöhnt hatte.
Den Riot Grrrls wurde oft geraten, dass sie, wenn sie ihren Feminismus massentauglich machen wollten, aufhören sollten in einer Subkultur zu leben. Sie sollten lieber mit den Medien zusammenarbeiten, als gegen sie.
Diese Empfehlungen trafen jedoch auf taube Ohren und die Riot Grrrls blieben die wütenden Frauen* des Untergrundes.

Grrrls Movement im 21. Jahrhundert

Trotzdem sind einige, die sich als Riot Grrrls definieren, heute salonfähig geworden und haben ihren Weg in die Popkultur gefunden. Ein Beispiel dafür ist Beth Ditto, die Frontfrau der Band „Gossip“. Die Band wurden bereits in der Gründungszeit der Riot Grrrls ins Leben gerufen, den großen Durchbruch hatte die Gruppe jedoch 2006 – 2009. Ab diesem Zeitpunkt spielten die Songs der Band auch in Mainstream-Sendern auf und ab und Beth Ditto machte Schlagzeilen in allen großen Musikzeitschriften.

Zwar nicht salonfähig aber mit viel Krawall und vor allem vielen Gegner_innen machte die russische Band „Pussy Riot“ auf sich aufmerksam. 2012 sorgten sie mit ihrem „Punk-Gebet“ weltweit für Schlagzeilen, da sie als Folge dieser Aktion inhaftiert und vor Gericht gestellt wurden.

In Österreich findet man als erstes den Grrrls Kulturverein, wenn man sich mit den Riot Grrrls auseinandersetzt. Der im Februar 2010 gegründete Verein befindet sich in Graz und setzt sich dafür ein Musikerinnen* und Künstlerinnen* sichtbar zu machen. Außerdem fördern sie Vernetzung und bieten neuen Bandprojekten einen Raum um zu proben.

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