Sexarbeiterin: „I’m not your rescue project!“
Christian Knappik spricht als Vorstandsvorsitzender über die Aufgaben von sexworker.at, die wöchentliche Zwangsuntersuchung, die Zusammenarbeit mit Polizei und Politik sowie die Bedeutung von Sexarbeit für Schüler_innen.
Syntax: Du bist Vorstandsvorsitzender des Sexworker-Forums und mittlerweile seit 10 Jahren dabei. Kannst du kurz erklären, was sexworker.at ist?
Knappik: Eigentlich war das Forum von und für SexarbeiterInnen eine Idee des AMS und wurde von einem jungen Paar geleitet, von dem ich es dann auch abgekauft habe. Vor vier Jahren habe ich das Forum kostenlos an aktive SexarbeiterInnen übertragen, ich bin also nicht mehr Eigentümer. Wir sind ein Haufen von Menschen, der gegen jegliche Art der Diskriminierung von SexarbeiterInnen eintritt. Wir fordern ganz einfach die Einhaltung der Menschenrechte. Eine unserer Hauptaufgaben ist es, einen Ort zum Informationsaustausch anzubieten. Es gibt einen öffentlichen Bereich des Forums, wo alle mitlesen und sich informieren können. Wir haben aber auch einen sexworker-only Bereich, damit sich speziell SexarbeiterInnen untereinander austauschen können. Wer bei sexworker.at mitwirken möchte, muss eine Präambel akzeptieren, in der Verschiedenes in Bezug auf Fremdenfeindlichkeit, sexuelle Fremdbestimmung oder beispielsweise Homophobie steht. Das sind nun mal Aspekte, die wir in unserem Forum nicht zulassen wollen.
Syntax: Habt ihr noch weitere Aufgaben?
Knappik: Für SexarbeiterInnen ist es oft undenkbar schwierig, Ansprechpersonen zu finden, daher versuchen wir eine Anlaufstelle für jedes Problem darzustellen, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist. Wir haben sogar einen 24-Stunden Notruf für SexarbeiterInnen eingerichtet, damit wir wirklich immer zur Seite stehen können, wenn etwas passiert. Außerdem bieten wir Notwohnungen für SexarbeiterInnen an, falls sie flüchten müssen. Manche Frauenhäuser lehnen Sexarbeiterinnen absurderweise ab, weil sie ja dort Kinder verderben könnten.
Syntax: Ihr seid auch Ansprechpersonen, wenn es um die wöchentliche Untersuchung geht. Wie steht sexworker.at dazu?
Knappik: Wir kritisieren diese Zwangsuntersuchung stark, denn wenn sie tatsächlich einen gesundheitlichen Zweck hätte, dann verstehe ich weder den Zusammenhang mit der Polizei, noch das Weglassen von Befunden. Eine Untersuchung unter Strafandrohung, die absolut nichts mit einer ärztlichen Qualitätsuntersuchung zu tun hat – das kann nicht funktionieren! Bis jetzt war es nämlich so, dass sich registrierte SexarbeiterInnen, egal welchen Service sie anbieten, der wöchentlichen Zwangsuntersuchung unterziehen mussten. Vor der Untersuchung bedarf es einer Anmeldung bei der Polizei, dann geht man zu einem Amtsarzt oder einer Amtsärztin und bekommt einen Bescheid, ob man weiter arbeiten darf oder nicht. Ärztliche Befunde werden jedoch keine ausgestellt. Ab dem 1.1.2016 soll eine neue Verordnung in Kraft treten, die besagt, dass diese Untersuchung nur noch alle sechs Wochen stattfinden soll. Wir sind der Meinung: Eine Menschenrechtsverletzung bleibt eine Menschenrechtsverletzung – egal wie oft sie ausgeführt wird! Der Schutz der Intimsphäre in der Europäischen Menschenrechtskonvention muss endlich ernst genommen werden! Sogar Ungarn hat die Zwangsuntersuchung letztes Jahr als Menschenrechtsverletzung abgeschafft. Österreich ist also das einzige Land in Europa, das sie noch durchführt. Eine Untersuchung durch das Gesundheitsamt auf niederschwelliger, freiwilliger, kostenloser und anonymer Basis mit dem Angebot einer Behandlung wäre eine wesentlich bessere Idee.
Syntax: Was ist die Rechtfertigung für diese Untersuchung?
Knappik: Wenn man sexuelle Handlungen am eigenen Körper erduldet oder an einem anderen Körper vornimmt, muss man laut dem Prostitutionsgesetz als registrierte Sexarbeiterin bzw. registrierter Sexarbeiter zur Zwangsuntersuchung. Das ist so gut wie alles, das sind manche Theaterstücke auf der Bühne! Braucht dann das Theater eine Konzession für ein Prostitutionslokal, um das Stück aufführen zu können? Eine sexuelle Handlung kann doch alleine ein Blick sein! Erotik spielt sich im Kopf ab. SexarbeiterInnen sind KünstlerInnen – sie wissen, wie sie Erotik in verschiedenster Form umsetzen können, machen oft viel weniger, als man glaubt und verkaufen im Endeffekt eine Illusion von Sex. Trotzdem gilt diese Regelung für alle SexarbeiterInnen – auch für diejenigen, die gar keinen Geschlechtsverkehr anbieten.
Syntax: Das ist wirklich schwer verständlich.
Knappik: Wir kennen Sexarbeiterinnen, die sich kurz vor der Untersuchung ihren Unterleib mit Desinfektionsspray einsprühen, um weiterhin arbeiten zu dürfen. Das hängt wieder mit der möglichen Sanktionierung zusammen und die darf es nicht geben! Ich muss meinem Arzt oder meiner Ärztin vertrauen können! Abgesehen davon wissen wir, dass gewisse Krankheiten bei der Untersuchung völlig außen vor gelassen werden. Wir haben selbst ein Projekt gestartet und eine mit Feigwarzen infizierte Sexarbeiterin zu einer Amtsärztin geschickt, die ihr dann die Arbeitserlaubnis gegeben hat, weil Feigwarzen eben nicht auf ihrem Programm stehen. Die Sexarbeiterin hat aus Eigenverantwortung selbstverständlich nicht mehr weiter gearbeitet und sich behandeln lassen. Das ist nur eines von vielen erschreckenden Beispielen!
Syntax: Gibt es noch weitere Erneuerungen ab dem 1.1.2016?
Knappik: Ja, es wurde unter anderem festgehalten, dass bei der Untersuchung ein Fachgespräch mit dem Arzt oder der Ärztin stattfinden soll. In welcher Sprache soll denn das Gespräch geführt werden? In wahrscheinlich keinem anderen Beruf gibt es eine derartige Multikulturalität wie in der Sexarbeit, muss der Arzt oder die Ärztin also Rumänisch, Ungarisch, Bulgarisch, Tschechisch lernen? Will diese Person, die selbst nicht in der Sexarbeit aktiv ist, SexarbeiterInnen über ihre Dienstleistungen aufklären? Den Austausch unter den SexarbeiterInnen selbst erachten wir als unglaublich wichtig, weil wir so beispielsweise unzumutbare Kunden auf eine „Blacklist“ setzen können. Aber ein Gespräch mit einem Amtsarzt oder einer Amtsärztin macht überhaupt keinen Sinn.
Syntax: Du hast vorher den Zusammenhang mit der Polizei kritisiert. Was sind hier für sexworker.at die Hauptprobleme?
Knappik: Die Polizei ist sicher nicht „Freund und Helfer“ für SexarbeiterInnen, sondern stellt viel mehr eine Gefahr, durch beispielsweise Zwangsregistrierungen und die vielen Kontrollen, dar. Die Polizei darf laut dem Wiener Prostitutionsgesetz jederzeit in ein Gebäude oder einen Teil davon beim Verdacht auf eine Verwaltungsübertretung eindringen. Das wäre in anderen Berufen unmöglich! Sexarbeit ist doch nicht illegal! Außerdem ist die Polizei laut dem Gesetz berechtigt, ihre Intention zu verschleiern, also als „Schein-Freier“ zu agieren – bei Drogen geht das zum Beispiel nicht. Ein weiteres Problem ist die unsaubere Übersetzung bei der Polizei, weil die Dolmetscherinnen und Dolmetscher teilweise unqualifiziert sind und ihre eigenen moralischen Vorstellungen sowie inhaltliche Unklarheiten beim Dolmetschen mit einfließen lassen.
Syntax: Funktioniert die Zusammenarbeit mit Politiker_innen genauso schlecht?
Knappik: Naja. Ich verstehe, dass Politikerinnen und Politiker mit dem Thema Sexarbeit überfordert sind. Das liegt aber großteils daran, dass sie sich nicht wirklich damit auseinandersetzen. Wir sind offen für Gespräche und sagen unsere Meinung, wir haben vermutlich auch die nötigen Einblicke. Man kann außerdem gerne eine Nacht mit uns durch Wien fahren und in den direkten Kontakt mit SexarbeiterInnen treten. Man kann Sexarbeit aber nicht, wie manche Politikerinnen und Politiker, von Grund auf ablehnen, ohne sich damit beschäftigt zu haben! Ich finde es ja auch abscheulich, in einer Welt zu leben, in der sich Frauen zum Teil prostituieren lassen müssen, weil sie sonst ihren Lebensunterhalt nicht sichern könnten. Das ist aber Teil unserer kapitalistischen Welt.
Syntax: Wer kommt, wenn sexworker.at von der Politik eingeladen wird, um die Meinung von Sexarbeiter_innen einzuholen? Du bist ja auch kein aktiver Sexarbeiter.
Knappik: Der Großteil von sexworker.at, speziell SexarbeiterInnen selbst, will kein Gesicht zeigen. Das ist kontraproduktiv. Sexarbeit ist so vielfältig, dass fünf oder sechs oder sogar 100 Menschen die Gruppe von SexarbeiterInnen nicht repräsentieren könnten. Wenn die Politik um ein Gespräch bittet, komme ich als gewählter und jederzeit absetzbarer Vorstandsvorsitzender von sexworker.at, denn ich bin neutral und nicht angreifbar, weil ich weder Sexarbeiter bin, noch ein Bordell besitze.
Syntax: In der Politik wird immer wieder darüber diskutiert, Sexarbeiter_innen in eine Position zu bringen, in der sie Arbeitnehmer_innenrechte hätten. Ist das eine gute Idee?
Knappik: Die Idee ist auf der einen Seite sicher begrüßenswert, scheitert aber wie so oft an der Umsetzung. Sexarbeit ist in ihrer Gesamtheit immer an eine eigenständige Entscheidung gebunden: Will ich oder will ich nicht? Wenn man eine Vorgesetzte oder einen Vorgesetzen hat, ist man gebunden und muss für ihn oder sie arbeiten – dann sprechen wir in der Sexarbeit von Zuhälterei. Das ist genauso absurd wie die Idee, Lokale zu versteuern. Es gäbe dann eine Art Registrierungskassa im Lokal und die SexarbeiterInnen würden wie Angestellte besteuert werden – obwohl sie das gar nicht sind, denn das wäre wiederum Zuhälterei! Betreiberinnen und Betreiber werden aber auch heute schon in eine Kontrollfunktion gebracht, da ihnen die Lizenz für das Lokal entzogen werden kann, wenn SexarbeiterInnen ohne gültigen Deckel (Anm.: Arbeitserlaubnis) aufgegriffen werden. Sexarbeit kann nur selbstständig funktionieren! Das verhindert dann eben auch die Konsumierung von Rechten wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld, Karenz… Sexarbeit ist mit keinem anderen Job vergleichbar.
Syntax: Der Syntaxblog ist ein Blog von und für Schüler_innen. Daher meine abschließende Frage: Warum ist das Thema Sexarbeit für Schüler_innen von Bedeutung?
Knappik: Als politisch oder allgemein gesellschaftlich interessierter Mensch, am Sprung in Entscheidungspositionen, als Politikerinnen und Politiker von morgen, ist es die Verpflichtung jedes und jeder Einzelnen, kritisch zu hinterfragen, welche Gesetze es gibt, wer die Gesetzgebenden sind oder waren und ob und warum die Betroffenen damit nicht einverstanden sind. Diejenigen, die sich etabliert haben, müssen ja nicht unbedingt Recht haben. Es ist wichtig, den Blick für veränderungswürdige Themen zu finden und zu schärfen, das ist quasi der Motor der Menschheit. Und was wir nie vergessen dürfen: Menschenrechte sind nicht verhandelbar!