Fluchtversuch in die Selbstbestimmtheit
Weltweit sind derzeit zirka 60 Millionen Menschen auf der Flucht, der Größte Teil sind Vertriebene innerhalb des eigenen Landes. 2015 fanden jedoch hunderttausende Flüchtlinge ihren Weg nach Europa. Die fortgeschrittenen, westlichen Länder reagieren jedoch denkbar rückständig. Es wird sogar über Grenzzäune diskutiert, die eine Flucht nahezu unmöglich machen.
Während Männer auf der Flucht Probleme mit Landesgrenzen haben, stoßen Frauen* bereits im eigenen Land auf Grenzen. Grenzen in den Köpfen der Menschen.
Gängigen Schätzungen zufolge sind weltweit 80 Prozent aller Fluchtmigrant_innen weiblichen Geschlechts. Dies bedeutet aber lange noch nicht, dass all diese Frauen* in westlichen Ländern um Asyl ansuchen. Ein wesentlicher Teil der Frauen* verbleibt innerhalb der Grenzen des Heimatstaates oder begibt sich in angrenzende Staaten. Nur etwa ein Viertel erreichen die reichen Industrieländer.
Auf der Flucht
Die stark patriarchal strukturierten Gesellschaften aus denen die Flüchtlingsfrauen* kommen begünstigen hohe, frauen*spezifische Armut. In ihren Heimatländern haben die Frauen* kaum Anspruch auf Eigentum und ihre Finanzkraft geht gegen Null, da das gesamte Vermögen von ihren Ehemännern, Vätern und Brüdern verwaltet wird. So fehlen ihnen die Mittel für Pässe, Visa, Fahrtkosten und Fluchthilfe. Hinzu kommt, dass es in der Regel die Frauen* sind, die die Verantwortung für Kinder und ältere Familienangehörige tragen und meist mit ihnen gemeinsam fliehen. Dadurch wird ihre Mobilität eingeschränkt und die Gefahr, entdeckt zu werden, erhöht sich.
Deshalb landen die meisten Frauen* in Flüchtlingscamps der Nachbarländer, in denen Frauen* und Kinder häufig die Mehrheit bilden. Hier tauchen dann erneut frauen*spezifische Problem auf, die häufig in Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung durch die Helfer in den Lagern steht.
Auch der Weg nach Europa wird durch das Frau*sein erschwert. Um in die „Festung Europa“ zu gelangen, sind die Flüchtlinge angewiesen auf Schlepper. Diese Abhängigkeit wird bei Frauen* häufig dazu ausgenutzt, sie zu sexuellen Diensten zu zwingen. Außerdem geht in gleicher Weise Gefahr von Grenzpolizisten und Räubern aus.
Fluchtgründe
Die Fluchtgründe von Frauen* müssen nicht immer geschlechtsspezifisch sein. Frauen* fliehen genauso aufgrund von Kriegen, Hungersnöten, Menschenrechtsverletzungen, Armut, Folter und vieles mehr. Die Genfer Flüchtlingskonvention kommt bei Frauen* genauso zur Anwendung und es gibt darin keinen speziellen Paragraphen für frauen*spezifische Fluchtgründe.
Fakt ist jedoch das diese existieren. Viele Frauen* fliehen, weil sie in ihren Heimatländern durch eine Vielzahl von Gesetzen und Traditionen in ihren Lebensmöglichkeiten und ihrer Selbstbestimmtheit massiv eingeschränkt werden. Frauen* werden zwangsverheiratet, sie werden für die Familienehre ermordet, sie werden aufgrund von Traditionen verstümmelt und missbraucht, sexualisierte Gewalt steht an der Tagesordnung und sie werden in ihren Häusern eingesperrt wie Häftlinge.
Gemeinsam ist vielen der frauen*spezifischen Fluchtgründe, dass sie mit Sexualität in Verbindung stehen. Dies liegt daran, dass den Frauen* ihre Lust aberkannt wird und die weibliche Sexualität dämonisiert wird. Dies dient zur Reproduktion patriarchaler Herrschaftsverhältnisse und steht vor dem Hintergrund der Unterdrückung der Frau*. Hierzu werden die unterschiedlichsten Repressionsinstrumente – wie zum Beispiel Genitalverstümmelung, Vergewaltigung oder Zwangsheirat – angewandt, die schlussendlich zu Fluchtgründen werden.
Lesben und Trans*personen
In starken Zusammenhang mit der Unterdrückung von selbstbestimmten, unabhängigen Lebensweisen von Frauen* steht die Verfolgung und Kriminalisierung von Lesben und Trans*personen. Viele Länder behaupten, dass es bei ihnen weder lesbische Sexualität noch Trans*personen gäbe, in anderen steht darauf die Todesstrafe.
In über 70 Ländern werden Lesben und Trans*personen strafrechtlich verfolgt, in sieben davon kann es ihnen durch die Todesstrafe das Leben kosten.
Im Iran – als herangezogenes Beispiel – werden homosexuelle Handlungen mit hundert Peitschenhieben bestraft und auf sogenannte „reuelose“ Homosexualität steht die Todesstraße durch Erhängen.
Im Irak – als zweites Beispiel – gelten Homosexualität und Trans*identität als „ungläubiges Verhalten“ und wird mit Folter und dem Tod bestraft. Diese Frauen* sind auf der Flucht und in Flüchtlingsheimen ganz spezifischen Problemen ausgesetzt, da sie aufgrund ihrer Sexualität und/oder Identität bedroht und erpresst werden. Sind sie schlussendlich in den westlichen Ländern angekommen, endet die Diskriminierung jedoch nicht, da es für die Personen schwierig ist im Asylverfahren zu beweisen, dass sie lesbisch oder trans* sind. Oft wird ihnen kein Glauben geschenkt.
Die Genfer Flüchtlingskonvention
In der Genfer Flüchtlingskonvention (kurz GFK) wird bis heute nicht explizit auf frauen*spezifische Fluchtgründe eingegangen. Dies steht vor allem im Zusammenhang mit dem zeithistorischen Kontext bei der Entstehung der Konvention. Erstmals aufgesetzt wurde sie 1951 und wurde 1967 nochmals angepasst. Zu dieser Zeit war die politische Sensibilität für frauen*spezifische Problemlagen noch geringer, dies veränderte sich jedoch durch die zweite Frauenbewegung.
Konkret abgeändert wurde die Genfer Flüchtlingskonvention seitdem nicht, jedoch hat die UNHCR vielerlei Vorschläge geliefert, in welcher Form frauen*spezifische Fluchtgründe in der Konvention ihren Platz finden. Einerseits wird vorgeschlagen, dass Frauen* als soziale Gruppe angesehen werden sollen, denn so würden sie in Artikel 14 Absatz 2 der GFK fallen. Außerdem lässt sich frauen*spezifische Verfolgung unter Umständen als „Verfolgung wegen politischer Überzeugung“ interpretieren, da der Verstoß gegen rigide, weibliche Rollenmuster eine gefährliche, politische Handlung ist.
Hierbei muss allerdings erwähnt werden, dass die Empfehlung der UNHCR zum Thema frauen*spezifische Fluchtgrüne die Unterzeichnerstaaten keineswegs dazu verpflichtet sich daran zu halten. Sie ist in unterschiedlichstem Maß in die Gesetzgebung der Länder eingebunden.
Frauen*spezifische Fluchtgründe finden Platz in vielen Novellierungen der Zuwanderungsgesetzte der einzelnen Staaten. Jedoch ist dies noch nicht genug. Frauen*spezifische Fluchtgründe sollte ein viel größerer Raum in der Flüchtlingsthematik eingeräumt werden und sie sollten von den einzelnen Staaten ernster genommen werden.