9. Oktober 2016
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Auch in der Schule alles beim Alten

Im Laufe eines Schuljahres verbringen wir Schüler_innen durchschnittlich über 180 Tage in der Schule und an jedem einzelnen dieser Tage werden wir mit Bildern und Texten konfrontiert, die uns eine schon lang veraltete Welt beschreiben. Trotz all der traditionellen Rollenbilder in Textaufgaben oder den sexistischen Darstellungen im täglichen Unterrichtsstoff, die bereits zur Norm in den meisten Unterrichtsbüchern geworden sind, schweigt die Gesellschaft und lässt es geschehen.

Sprache, die unsichtbar macht

Das sogenannte „generische Maskulinum“ bezeichnet die ausschließliche Verwendung maskuliner Endungen des Plurals zur Beschreibung einer Personengruppe, die nicht zwangsläufig nur aus Männern bestehen muss. Das bedeutet, dass automatisch die Diversität der Personen bei diesen Bezeichnungen einfach ignoriert wird. Ihre Identität wird nicht berücksichtigt und da das generische Maskulinum in den meisten Alltagssituationen wie Schulbüchern, Texten und Zeitungsartikeln verwendet wird, überschattet die permanente männliche Präsenz die vielfältige Individualität der meisten Menschen.

Wenn Menschen in der Sprache unsichtbar werden, dann liegt das Problem in unserer Gesellschaft und nicht an Personen, die sich nicht mit den klassischen Rollenbildern identifizieren oder schlicht und einfach nicht in diese passen.

Rollen, Regeln und Richtlinien

Jede Person und vor allem jedes Geschlecht hat, laut Gesellschaft, die eigenen  bestimmten Aufgaben im Leben. Neben der Tatsache, dass in sämtlichen Lehrtexten ausschließlich das binäre Geschlechtersystem[1] als Norm behandelt wird, werden auch hier die klaren Rollenverteilungen deutlich. Technik, Naturwissenschaften oder Handwerk sind einige Beispiele für die Bereiche, in denen Männer ihre Stärken haben sollten, während Frauen sich mehr für Mode, Kochen oder den Haushalt zu interessieren haben. Doch selbst, wenn wir uns mittlerweile im 21. Jahrhundert befinden und viele Personen sich bereits von diesen konservativen Wertevorstellungen getrennt haben, halten unsere Lehrbücher standhaft daran fest. Wenn sich mathematische Beispiele damit beschäftigen, wie viel Geld eine Frau* für Schuhe und Klamotten ausgegeben hat während sich die Berechnungen bei Männern* meist um das Einkommen oder einen Autokauf handeln, werden exakt diese klassischen Vorstellungen weiterhin gefördert. Genau diese traditionellen Bilder, die uns tagtäglich in der Schule vermittelt werden, sorgen dafür, dass sich unsere Welt nur so langsam in eine offene und tolerante Gesellschaft verändert. Unsere Schulbücher ignorieren die Tatsache, dass Geschlecht sowie Identität ein Spektrum ist, und viel zu wenige Unterrichtsstunden beschäftigen sich mit der Diskriminierung von Menschen, die einfach nicht in alle diese Stereotype passen.

Da waren ja noch…

Die Massenvergewaltigungen an Frauen* in allen bisherigen Kriegen. Die systematische Vernichtung homo- und trans*sexuellen Personen, beispielsweise während des 2. Weltkriegs. Alle Menschen, die ihre sexuelle Orientierung oder ihre Identität verstecken mussten. Die Unterdrückung und Ausnutzung dunkelhäutiger Personen durch weiße machtgierige Menschen. Oder die Millionen Frauen*, die unsere Geschichte maßlos beeinflusst haben und in den Geschichtebüchern kaum erwähnt werden, wie zum Beispiel Alice Walker, die sich als Aktivistin* in den amerikanischen Bürger_innenrechtsbewegungen engagiert hat.

Alle diese Informationen werden uns in unserem Schulsystem und vor allem in unseren Schulbüchern verwehrt. Statt der Darstellung einer grausamen Gesellschaft, die Frauen*, queere Personen und nicht-weißen Menschen Rechte verwehrt und sie im Laufe der Geschichte bis heute nicht als vollwertige Personen wahrnimmt, hält unsere Bildungspolitik immer noch an den altbewährten, festgefahrenen und konservativen Vorstellung von Rollenbildern und Stereotypen fest. Diese Tatsache erscheint vor allem im Jahr 2016, in dem wohl eine Frau* Nachfolgerin* des ersten dunkelhäutigen Präsidenten* der USA wird und in dem niemand mehr davon ausgehen kann, dass in einer durchschnittlichen Schulklasse nur weiße Schüler_inne sitzen, so absurd, dass einem_einer die dringenden Nachbesserungen seitens der bildungspolitischen Institutionen schnell bewusst wird.

Bildung sollte kritisches Denken fördern und den Schüler_innen eine vielfältige und individuelle Welt darstellen. Keine Person sollte in irgendein System gezwungen werden, das keinen Platz für sie bietet. Und keine Gesellschaft sollte den Menschen vorschreiben, wie sie zu sein haben!

[1] Binäres Geschlechtersystem geht davon aus, dass es auf der Welt nur zwei Geschlechter gibt: Frau und Mann

Rollenbilder werden in den meisten Schulbüchern oft unreflektiert reproduziert. Foto: bit.ly/2egbn6m
Rollenbilder werden in den meisten Schulbüchern oft unreflektiert reproduziert.