14. September 2015
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Ich tu, was ich will?

Mein Leben ist selbst...äääh... fremdbestimmt

Wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft. Wir haben selbst in der Hand, ob wir Manipulationen unserer Meinung oder unserer Entscheidungen zulassen oder nicht. Wir bestimmen selbst, wer wir sind und wen wir lieben wollen. Wir sind freie Individuen. Oder nicht?

Selbstbestimmung bedeutet, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben und Entscheidungen selbst und ohne fremden Einfluss zu treffen. Letztendlich ist Selbstbestimmung sozusagen das Gegenteil von Manipulation und Unterdrückung. Die Kehrseite ist die Fremdbestimmung – demnach liegt die Kontrolle über das eigene Leben in den Händen anderer. Damit können Religionen, Regierungsformen, Ideologien oder allgemein in der Gesellschaft verankerte – und meist anerkannte – Diskriminierungs- bzw. Unterdrückungsformen und Mechanismen gemeint sein, die eine Selbstbestimmung von klein auf verhindern. Um zu verdeutlichen, dass ein selbstbestimmtes Leben und Lieben in der Praxis eine Art Utopie darstellt, hier einige simple Erklärungen am Beispiel von Sexualität und Identität.

Hetero oder anders

„Wann hast du eigentlich gemerkt, dass du hetero bist?“, ist wohl eine der am seltensten gestellten Fragen überhaupt. Jaja, die Sache mit der Sexualität. Aber – wirst du als Frau geboren, so wird davon ausgegangen, dass du Männer begehrst und umgekehrt. Schon im jungen Alter bekommen Kinder das Bild vermittelt, dass „Pärchen“ mit „Mann und Frau“ gleichzusetzen ist. Entsprichst du jedoch nicht der famosen Norm und bist lesbisch_schwul_bi_pan_a_sexuell – und nicht heterosexuell – und (gesellschaftlich gesehen) „anders“, so wird davon ausgegangen, dass du dich outest. Ein Coming Out Of The Closet (Aus dem Schrank herauskommen). Eine Art Grenzüberschreitung. Ein Closet/Schrank, den die Gesellschaft gezimmert hat, um ihre rechts_konservativen Werte aufrecht zu erhalten. Und sie sind #stolzdrauf, weil Kindern schon früher als gedacht durch den permanenten Einfluss von Stereotypen und Rollenbildern und die fehlende Aufklärung die Selbstbestimmung weggenommen wird. Heterosexualität wird als „die Normalität“ dargestellt. Die Vielfältigkeit des Begehrens, die bunte Welt der Sexualitäten wird totgeschwiegen, verurteilt oder gar verboten und bekämpft. Ob man hier also noch von einer selbstbestimmten Sexualität sprechen kann, wenn man jahrelang „gelenkt“ wird, indem man vorgegaukelt bekommt, welche Art des Begehrens denn „die richtige“ sei und als „anders“ abgestempelt wird, wenn man nicht diesem un_geschriebenen Gesetz entspricht?

Diesseits oder Jenseits

…also „cis“ und „trans“ auf Deutsch. Die Sache mit der Identität. Hierbei ist davon die Rede, wie sich eine Person selbst (nicht) definiert/identifiziert/fühlt. Die zwei Kategorien „cis“ und „trans“ kurz erklärt: Eine Cis-Person identifiziert sich mit ihrem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht. Eine Trans*-Person nicht. Gesellschaftlich akzeptiert und propagiert ist und wird natürlich die am leichter de_konstruierbare Form: die Cisgenderung. Es wird davon ausgegangen, dass sich Menschen dem Geschlecht zugehörig fühlen, dass andere ihnen aufgrund gewisser Anatomien vorgeben. Das Bild „eines echten Mannes“ und „einer echten Frau“ wird als so selbstverständlich und unhinterfragbar dargestellt, sodass sich die schon im Kindesalter angeeigneten Rollenbilder und Stereotype vor allem durch die fehlende Aufklärung weiter verfestigen. Egal ob hier Kinderbücher, Spielzeuge oder allgemein die Arten der Erziehung gemeint sind – Mädchen und Jungen lernen schon im frühen Alter was es heißt, ein Mann oder eine Frau zu sein. Ihnen werden Grenzen des Seins, ja sogar Grenzen des Denkens vermittelt und sie werden in eine Norm gepresst, die wenig Platz zur Entfaltung der eigenen Identität lässt. Wer seine_ihre Identität dennoch frei ausleben will, stößt oft auf Grenzen. Von der verkomplizierten bis teilweise unmöglichen Namensänderung bis hin zu scheinbar unüberwindbaren Gesetzeshürden. So ist es beispielsweise in elf europäischen Staaten überhaupt nicht möglich, die offizielle Geschlechtsbezeichnung zu ändern. Trans*-Personen werden mit Scheidungen, Sterilisationen und psychischen Diagnosen konfrontiert. Sogar die Weltgesundheitsbehörde (WHO) erachtet Trans*identität noch immer als psychische Erkrankung. Doch viel eher ist die Fremdbestimmung und die zu erleidende Diskriminierung der Grund für eine psychische Erkrankung. Wenn davon ausgegangen wird, dass Trans*identität eine Erkrankung, eine Abnorm, eine Andersartigkeit darstellt, Kinder klischeebehaftet aufwachsen und dadurch in ihrer Entwicklung stark eingeschränkt werden können, so kann man hier wohl schlecht von Selbstbestimmung sprechen.

Ganz oder gar nichts

Was aber tun, wenn etwa eines von 2000 Neugeborenen schon von Geburt an in irgendeiner Weise nicht den klassischen Idealen eines rein „männlichen“ oder „weiblichen“ Körpers entspricht? Es geht um Intersexualität. Um Menschen, die mit „uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen“ geboren werden. Auch hier wird Diversität international als „behandlungsbedürftig“ eingestuft, denn es brauche ein „eindeutiges Geschlecht“. Es werden Möglichkeiten dargeboten, den intersexuellen Körper chirurgisch und hormonell zu verändern. Die Option, einfach intersexuell zu bleiben, wird meist nicht einmal angesprochen. Das Problem hierbei ist, dass jene Eingriffe und Behandlungen häufig sehr früh passieren und traumatisierend für die Betroffenen sind. Außerdem stellt es oft eine Schwierigkeit dar, mit dem verordneten Geschlecht umzugehen. Grundsätzlich verstößt jenes Aufzwingen eines Geschlechts, einer erwünschten Identität, gegen das grundlegende Menschenrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Doch das Hineinpressen in eine zweigeschlechtliche Gesellschaft und das Abtöten bereichender Vielfalt scheint für so einige wie die Luft zum Atmen zu sein. Wie der Verein intersexueller Menschen Österreich so schön sagt: „Intersexualität ist (in den meisten Fällen) kein medizinisches, sondern ein gesellschaftliches Problem!“

Dargebrachte Beispiele sollen zeigen, dass es auch heute keine Selbstverständlichkeit ist, selbstbestimmt zu l(i)eben, da die allzeit präsenten Normen unseren Alltag prägen und unser Denken/Handeln klar einschränken. Wer also meint, selbstbestimmt zu l(i)eben, sollte sich gar nicht erst zu sicher sein, die Augen offen halten und an die Ideal_Bilder denken, die gegen uns geschaffen wurden.

Bildunterschrift Foto: Pixabay
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